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Todeswatt

Todeswatt

Titel: Todeswatt
Autoren: authors_sort
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Landschaft wirkte zwar noch ein wenig trist und karg, aber auf den Wiesen entlang der Straße waren schon die ersten Lämmer zu sehen und am Horizont zeichneten sich große Schwärme von Zugvögeln ab, die in ihre Sommerquartiere zurückkehrten. Nur wenige Wochen und man würde den Frühling endlich wieder spüren können.

     
    Kurz darauf erreichte er den Fähranleger Strucklahnungshörn. Die ›Pellworm I‹ lag abfahrbereit im Hafen. Das knapp 50 Meter lange Schiff fasste rund 36 Pkws. Thamsen hatte Glück, denn obwohl er nicht reserviert hatte, nickte der Mann am Fähranleger ihm nach einem Blick auf seine Verladeliste zu. Über die heruntergelassene Ladeluke fuhr er auf das Autodeck und parkte den Wagen auf dem ihm zugewiesenen Stellplatz.
    Auf dem Sonnendeck war es eisig kalt. Trotzdem verfolgte Thamsen interessiert, wie die Leinen von den Pollern am Kai gelöst wurden und das Schiff langsam den Hafen verließ. Bald darauf flüchtete er sich in den Salon auf dem Oberdeck. An dem kleinen Ausschank bestellte er einen Pfefferminztee und setzte sich mit der dampfenden Tasse an eines der breiten Fenster, von wo aus man eine herrliche Aussicht über das Wattenmeer hatte.
    Er umfasste die Tasse mit beiden Händen, um sich aufzuwärmen und beobachtete die vorbeiziehenden Fahrwassertonnen und Baken, welche die Fahrrinne markierten.
    »För vele hunert Johr wär dat hier allns Land.« Am Nebentisch deutete ein älterer Mann hinaus und nickte dabei einem ihm gegenübersitzenden jungen Pärchen bestätigend zu. Der plattdeutsche Dialekt kennzeichnete ihn eindeutig als Einheimischen. »Und Pellworm hörte uk to d’ Festland.«
    Die dunkelhaarige Frau blickte den selbst ernannten Fremdenführer ungläubig an. Für Touristen war es häufig unvorstellbar, wie stark das Meer die Landschaft hier geprägt hatte. Schwere Sturmfluten führten oftmals zu massiven Verlusten. Die große Flut vom 12. Oktober 1634 trennte nicht nur Pellworm und Nordstrand, die bis zu diesem Zeitpunkt zusammen eine große Insel bildeten und einst sogar zum Festland gehört hatten, sondern riss neben enormen Landmassen auch etwa 9.000 Menschen mit sich ins Meer.
    Sie erreichten die Hallig Südfall, die wie ein Denkmal an diese Zeiten eindrucksvoll aus dem Wasser ragte.
    »Und hier leg uk Rungholt«, führte der Nordfriese seine Ausführungen fort. »Andreas Busch hät dat rutfunnen.«
    Thamsen stand auf und brachte seine Tasse zurück zum Ausschank. Dann stieg er an Deck und sah aufs Meer hinaus.
    Ob hier wirklich einst Rungholt gelegen hatte? Bereits kurz nach dem Untergang hatten sich Spurensucher auf den Weg gemacht. Immer wieder gab es Funde im Watt. Karten wurden angefertigt und Geschichten erzählt, in denen sich Realität und Fantasie vermischten.
    Bis heute währte der Streit, wo genau die versunkene Stadt zu lokalisieren war und immer wieder tauchten an unterschiedlichen Stellen Siedlungsreste aus dem Wattboden auf. Doch die Wahrheit über diesen mystischen Ort lag wohl in der Tiefe des Meeres verborgen.
    Thamsen lehnte sich über die Reling.
    Die Pellwormer Mole, die sich ungefähr zweieinhalb Kilometer außerhalb der Insel in der Nordsee befand, war nur noch einen Katzensprung entfernt.
    Der Kapitän drosselte das Tempo und manövrierte die Fähre zum Anleger.
    Er stieg hinunter aufs Autodeck, setzte sich in seinen Wagen und wartete, bis die Ladeluke sich öffnete, ehe er den Motor startete.

     
    Dirk Thamsen hatte nicht erwartet, einen großartigen Empfang bereitet zu bekommen. Er wusste ja selbst, was auf dem Revier los war, wenn es einen Leichenfund gab, aber dass gar keiner der anwesenden Herren Notiz von ihm nahm, als er den Dienstraum betrat, stimmte ihn nicht gerade positiv. Die drei Männer standen dicht gedrängt um einen dunkelbraunen Schreibtisch und betrachteten eingehend etwas, das ihm verborgen blieb.
    »Moin, Moin«, versuchte er, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Dirk Thamsen aus Niebüll.«
    Der schlanke Blonde in Uniform blickte ihn fragend an und er fühlte sich sofort genötigt, »der angeforderte Kollege« erklärend hinzuzufügen. Aber das Fragezeichen auf dem Gesicht des anderen blieb.
    Der Mann schien recht jung zu sein. Thamsen schätzte ihn auf Anfang 20. Wahrscheinlich seine erste Leiche, dachte er. Das erklärte auch, warum die Kripo bereits vor Ort war. Er kannte die Kollegen aus Flensburg von eigenen Ermittlungen. Vermutlich hatte der junge Beamte die Kollegen gerufen, da er nicht wusste, was zu tun
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