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Todesstatte

Titel: Todesstatte
Autoren: Booth Stephen
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spärlichsten Anhaltspunkten: ihrer Größe, ihrer ethnischen Abstammung, ihres mutmaßlichen Alters. Er wusste, dass sie einen verheilten Unterarmbruch hatte. Sie hatte mindestens ein Mal entbunden und besaß für eine Frau ungewöhnlich breite Schultern. Abgesehen davon war sie bereits seit ungefähr achtzehn Monaten tot.
    In den zwölf Jahren, seit Cooper bei der Polizei von Derbyshire angefangen hatte, waren im Peak District etliche unidentifizierte Leichen gefunden worden. In den meisten Fällen hatte es sich um junge Menschen gehandelt, und der Großteil von ihnen hatte Selbstmord begangen. Im Zuständigkeitsbereich der E-Division wurden sie in der Regel bereits kurz nach ihrem Tod gefunden, es sei denn, sie wurden aus einem der Staubecken gezogen. Doch auf diese Frau traf nichts von beidem zu.
    Im Profil wirkte das Gesicht besonders unheimlich. Die Beleuchtung warf Schatten unter den Wangenknochen und in den Augenhöhlen und betonte die Falten an den Augenwinkeln. Cooper konnte erkennen, dass es sich um ein Gesicht mit Charakter handelte, vom Leben gezeichnet und von der Erfahrung geformt. Eine Frau Anfang vierzig. Irgendjemandes Tochter und irgendjemandes Mutter.
    Doch die menschlichen Überreste, die von Spaziergängern in den Wäldern des Ravensdale-Tals gefunden worden waren, hatten lange Zeit dort gelegen und waren der Witterung und Aasfressern ausgesetzt gewesen. Der Leichnam war bis zur Unkenntlichkeit verwest. Er hatte bereits begonnen, unter einem Bewuchs aus Moos und Flechten zu verschwinden, und dicke Grashalme, die durch die Augenhöhlen im Schädel gewachsen waren, hatten seine Silhouette unkenntlich gemacht.
    Der Kopf drehte sich weiter. Er machte eine volle 360-Grad-Drehung, zeigte seinen Nacken und dann das andere Profil, bis er schließlich wieder mit dem Gesicht nach vorn zum Halten kam.
    Â»Was ist mit den Augen?«, erkundigte sich Cooper. »Haben ihre Augen so ausgesehen?«
    Â»Wir können verschiedene Farben ausprobieren. Blau und braun vielleicht.«
    Suzi Lee hatte kurz geschnittenes dunkles Haar und schmale Hände mit langen Fingern. Sie war forensische Rekonstrukteurin und im Institut für Pathologie der Sheffield University beschäftigt. Cooper beobachtete, wie sie mit den Fingern seitlich über den rekonstruierten Kopf strich, als tastete sie nach der Form des Schädels, der sich unter der Lehmschicht befand.
    Â»Blau und braun? Wir wissen nicht, welche Farbe?«
    Â»Die Augen gehören zu den ersten Körperteilen, die verwesen. Wir können unmöglich beurteilen, welche Farbe sie zu Lebzeiten hatten.«
    Â»Das war eine dumme Frage«, entgegnete Cooper.
    Â»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken.«
    Â»Okay, dann habe ich noch eine: Wie genau stimmt diese Rekonstruktion?«
    Â»Tja, das Aussehen von Nase und Mund kann man ebenso wenig mit Sicherheit bestimmen wie das der Augen, also handelt es sich auch da zum größten Teil um Vermutung. Wenn ich eine bestimmte Perücke anstelle ihrer Haare auswähle, ist dies ebenfalls ein Schuss ins Blaue. Aber die Kopfform stimmt ziemlich genau. Sie ist die Grundlage für die äußere Erscheinung eines Menschen. Es ist alles eine Frage der Knochenstruktur und der Gewebedicke. Sehen Sie sich die hier mal an.«
    Sie zeigte ihm mehrere Fotos von dem Schädel, auf denen dieser zunächst mit Markierungen der Gewebedicke an den entscheidenden Stellen zu sehen war, dann mit einem Plastilingerüst um die Markierungen. Die Nummern an den Markierungen schimmerten wie ein seltsamer weißer Ausschlag durch das Plastilin.
    Â»Hoffen wir mal, dass die Rekonstruktion gut genug ist, um irgendjemandes Erinnerung auf die Sprünge zu helfen«, sagte Cooper.
    Â»Dann ist das also die letzte Hoffnung?«, sagte Lee. »Das ist eine Gesichtsrekonstruktion nämlich meistens.«
    Â»Die Kleidungsstücke, die bei der Leiche gefunden wurden, lassen sich nicht identifizieren. Es gibt weder Schmuck noch irgendwelche anderen Habseligkeiten. Und natürlich auch keine Merkmale an der Leiche, die der Identifizierung dienen könnten.«
    Â»Waren die Überreste vollständig skelettiert?«
    Â»So gut wie«, erwiderte Cooper. Doch das stimmte nicht ganz. Er erinnerte sich noch an die Fleischreste an den Fingern und an die Sehnen, die in dünnen, lederartigen Streifen an den Knochen hingen. Einige Körperteile der Frau hatten sich noch lange nach
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