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Todesstatte

Titel: Todesstatte
Autoren: Booth Stephen
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Ebene.
    Sandra drückte ihre Handtasche fester gegen die Hüfte und erklomm die Stufen zur nächsten Ebene. Sie fand nichts unheimlicher als Parkhäuser bei Nacht. Tagsüber, wenn sie von Leuten mit Einkaufstüten und Kinderwagen bevölkert waren, die ihre Taschen nach Kleingeld durchwühlten, während sie sich durch den Motorenlärm und die heißen Abgase den Weg zu ihrem Stellplatz bahnten, waren sie einigermaßen erträglich. Doch nachdem alle nach Hause gefahren waren, verwandelte sich ein Parkhaus wie dieses in einen verlassenen, seelenlosen Ort. Wenn es menschenleer war, wirkte selbst seine architektonische Struktur bedrohlich.
    Sandra drückte die Tür zur achten Ebene auf und hielt sie einen Moment lang offen, ehe sie, alle Sinne in Alarmbereitschaft, hindurchtrat. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie nicht besser Schuhe mit flacheren Absätzen hätte anziehen sollen, um schneller laufen zu können. Sie fischte ihr Mobiltelefon aus der Handtasche und hielt es in der Hand. Seine vertraute Form und das schwache Schimmern des Displays beruhigten sie ein wenig.
    Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, an diesem Abend so lange zu arbeiten. Doch eine in letzter Minute anberaumte Besprechung hatte sich endlos hingezogen, dank der Wichtigtuerei einiger ihrer Kollegen – mittlere Führungskräfte, die nicht als Erste nach Hause gehen wollten. Sie war stundenlang gefangen gewesen. Und als die Besprechung endlich zu Ende gewesen war, hatte der Niederlassungsleiter sie zur Seite genommen und gefragt, ob sie ein paar Minuten Zeit habe, um mit ihm ihren Bericht durchzugehen. Hätte er sich nicht wenigstens die Mühe machen können, ihn vor der Besprechung zu lesen? Aber warum auch, da er ja wusste, dass er ihr Überstunden abverlangen konnte, ohne dass sie irgendetwas dagegen hätte sagen können?
    Ihr blauer Skoda war ganz hinten auf der achten Ebene geparkt. Er stand ganz allein da, und die Farbe seiner Lackierung war im Neonlicht kaum auszumachen. Als Sandra über den Betonfußboden ging und dem Klang ihrer eigenen Absätze lauschte, fröstelte sie in dem schwarzen Blazer, den sie im Büro trug. Sie hasste all die Rampen und Pfeiler. Sie waren für Maschinen entworfen worden, nicht für Menschen. Der Maßstab des Gebäudes war völlig verkehrt: die Wände waren zu dick, die Decken zu niedrig und die Auffahrten zu steil, um sie zu Fuß zu erklimmen. Sie kam sich vor ein Kind, das sich in einer fremden Stadt verlaufen hatte. Die Betonmassen drohten sie zu zerquetschen und sie mit einem von Auspuffgasen gesättigten Rülpser in ihre Tiefen zu verschlucken.
    Und da waren sie wieder, die Schritte.
    Sandra kannte das Parkhaus gut und erinnerte sich sogar daran, als es in den 80er-Jahren gebaut worden war. Irgendein Konstruktionsmerkmal sorgte dafür, dass auch das leiseste Geräusch über sämtliche Ebenen nach oben wanderte. Deshalb klangen Schritte, die aus einer mehrere Etagen tiefer liegenden Ebene zu hören waren, so, als folgten sie ihr auf dem Weg zu ihrem Wagen.
    Obwohl Sandra diesen Effekt schon viele Male erlebt hatte, ließ sie sich noch immer davon täuschen. Als er an diesem Abend abermals auftrat, konnte sie nicht umhin, sich umzudrehen, um nachzusehen, wer ihr folgte. Aber natürlich war niemand hinter ihr.
    Jedes Mal, wenn sie das Geräusch der Schritte hörte, blickte sie sich um.
    Und jedes Mal, wenn sie sich umblickte, war niemand da.
    Jedes Mal, bis auf das letzte Mal.
    War es nicht Sigmund Freud, der gesagt hat, dass jedes menschliche Wesen über einen Todestrieb verfügt? In jedem Menschen liefert sich der böse Thanatos eine endlose Schlacht mit Eros, dem Lebenstrieb. Und Freud zufolge dominiert immer das Böse. Im Leben muss es Tod geben. Zu töten ist ein natürliches Bedürfnis von uns. Die Frage lautet nicht, ob wir töten, sondern, wie wir es tun. Unser Verstand sollte diesen Urinstinkt verfeinern, ihm einen Sinn und Zweck verleihen.
    Ohne einen Zweck ist der Akt des Tötens bedeutungslos. Er wird zur Zeitverschwendung, zum sinnlosen Mord, halbherzig und unvollkommen. Nur allzu oft scheitern wir beim letzten Schritt.Wir wenden uns ab und schließen die Augen, wenn sich die Pforten zu einer ganz neuenWelt öffnen: zu den duftenden fleischlichen Gärten der Verwesung. Wir weigern uns, die fließenden Säfte zu bewundern, die blühenden Bakterien, die dunklen,
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