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Todesspiel

Titel: Todesspiel
Autoren: John Sandford
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diesem Stil weiterlabern, da die Bedienung immer wieder in unsere Nähe kam, und langsam ging uns der Stoff aus. Dann endlich kam Johns Anruf, und Marvels dunkle Augen leuchteten auf. Sie holte eine Landkarte aus der Handtasche, faltete sie auf, suchte nach etwas, fand es, sagte: »Ja, ich hab’s … Ja, ich hab’s. Alles klar. Wir fahren los.«
    Das Gespräch war beendet, und sie sagte laut zu mir: »Ich muss gehen. Ich hoffe, Sie bei der öffentlichen Anhörung zu der Sache im Herbst zu sehen. Jede Hilfe, die Sie uns bei der Regionalbehörde geben können, ist willkommen.«
    »Ich muss auch gehen«, sagte ich. Ich legte zwei Dollarnoten als Trinkgeld auf den Tisch, und wir bezahlten unsere Rechnungen getrennt an der Kasse. Ich ließ Marvel voraus zum Parkplatz gehen, trödelte noch ein wenig herum, plauderte
mit der Bedienung und kaufte zwei Flaschen Dasani-Wasser. Als ich in meinen Wagen stieg, war Marvel bereits auf dem Highway in Richtung Süden unterwegs. Eine Minute später hatte ich zu ihr aufgeschlossen, und sie führte uns in schneller Fahrt sechs Meilen den Highway hinunter, bog dann ab, aus dem Flusstal hinaus und rund fünf Meilen ins Land hinein.
    An einer staubigen Straßenkreuzung fuhr sie an den Straßenrand. Die Kreuzung ähnelte ein wenig der, an der wir vor einigen Stunden vergeblich nach dem verlassenen Schulhaus gesucht hatten, wobei die Gegend hier jedoch hügeliger war, durchzogen von kleinen Feldern, die sich bis zum Horizont erstreckten. Vor uns erhob sich ein steil ansteigender bewaldeter Höhenrücken.
    Am Fuß der Anhöhe, direkt vor dem Wald, stand ein verlassenes Fachwerkgebäude mit einem verblassten Schild über dem Eingang mit der Aufschrift »Gemeindehaus Charm«. Marvel sprang aus dem Wagen, rief mir zu: »Wir sollen die Skizze von heute Morgen benutzen; das Gemeindehaus da ist das, was in der Skizze als ›verlassenes Schulhaus‹ bezeichnet wird.«
    Ich nickte, sagte: »Dann müsste von dort ein Pfad in den Wald führen …«
    Ich nahm den Bolzenschneider und die beiden Wasserflaschen aus dem Wagen, und wir fanden den Pfad genau da, wo er eingezeichnet war; wir begannen den Aufstieg in den Wald. Ich ging voraus, und Marvel warnte: »Pass auf Schlangen auf.«
     
    Wir stießen nicht auf Schlangen. Der Pfad wurde immer schmaler, blieb aber während des ganzen Aufstiegs gut sichtbar. Ein Jägerpfad, dachte ich, nur im Frühjahr und im Herbst benutzt, um tief in den Wald zu kommen. Nach einer Viertelmeile
schreckten wir drei Rehe auf, sahen zu, wie sie vor uns davonsprangen.
    Nach einer Weile fragte Marvel: »Wir haben noch keine Meile hinter uns, oder?«
    »Nein. Eine halbe, nehme ich an.«
    »Carp hat John gesagt, es wäre fast genau eine Meile. Er hätte es mit einem GPS-Gerät überprüft. Eine Meile geradeaus in den Wald rein.«
    »Dann sind es noch rund zehn Minuten, immer weiter auf diesem Pfad, wobei ich hoffe, dass wir ihn nicht verlieren«, sagte ich.
    Wir hasteten weiter. Bei jedem Schritt wurde es heißer. Das dichte Laubdach über uns spendete zwar Schatten, aber die Luft war so heiß, dass selbst das nicht viel brachte; als wir den Kamm des Hügels erreicht hatten, waren unsere Hemden völlig durchgeschwitzt. Der Pfad verlief leicht abschüssig weiter, gut erkennbar – offensichtlich ein regelmäßig benutzter Wildwechsel -, und nach einigen Minuten sagte ich: »Wir müssen jetzt in der Nähe sein …«
    Der Wald war dicht, Gebüsch ragte zu beiden Seiten des Pfades hoch auf. Wir konnten in keine Richtung weiter als fünf Meter sehen. Marvel legte den Kopf in den Nacken und rief: »RACHEL!«
    Nichts.
    »RACHEL!«
    Und dann ganz schwach: »Hiiilfeee!«
     
    Sie war ein lautstarkes kleines Mädchen und verfügte über eine kräftige Lunge. Wir fanden sie auf einer kleinen grasbewachsenen Lichtung zweihundert Meter weiter den Pfad hinunter. Sie stand vor einem Baum, hielt ihren Laptop umklammert – ein zartes kleines Mädchen in einer blauen Blümchenbluse und Jeansshorts, das uns mit aufgerissenen Augen
entgegenstarrte. Eine Kette war mehrfach straff um ihre Hüfte geschlungen und am Ende mit einem Vorhängeschloss gesichert. Das andere Ende der Kette führte um den sechzig Zentimeter dicken Baum, vor dem sie stand, und war mit einem zweiten Schloss fixiert. Genau, wie Carp gesagt hatte; ein eisiger Hauch fuhr durch meine Brust, als ich mir vor Augen hielt, was mit ihr passiert wäre, wenn Carp sie hier zurückgelassen und wir sie nicht gefunden hätten.
    Marvel
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