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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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»Nur reden! Ihr seht ja, ich bin unbewaffnet!«
    Die Antwort kam per Lautsprecher: »Wir fordern Sie hiermit letztmalig auf, die Brücke zu räumen!«
    Da drängte sich Paul Polte durch die Reihen der Demonstranten nach vorn. »Jetzt hört mal zu, ihr Pappnasen! Wir haben die Bürgermeisterin und einen Bundestagsabgeordneten, der die Hosen so voll hat, dass er leugnet, ein Volksvertreter zu sein! Das Blatt hat sich gewendet. Ihr werdet jetzt abziehen oder wir erschießen nacheinander erst die Bürgermeisterin, dann den feigen Abgeordneten, anschließend nehmen wir uns die gesamte Verwaltungsspitze vor! Euer Scheiß-Krisenstab ist in unserer Gewalt! Unsere Leute haben das Rathaus genommen! Ab jetzt bestimmen wir, was hier läuft! Klaro?!«
    Carlo Rosin zog sich wieder zurück und wandte sich gegen Paul Polte: »Wir sind doch keine Mörder! Wir …« Ihm fehlten vor Empörung die richtigen Worte.
    Polte zeigte auf die Reihen der Bundeswehr. »Da sind die Mörder. Wir werden hier alle verrecken, unversorgt und eingeschlossen in diesem Hexenkessel. Die da oben haben längst einkalkuliert, dass wir alle draufgehen. Das ist denen völlig egal. Wir müssen Druck auf sie machen, sonst …«
    »So aber nicht!«, rief Carlo Rosin. »Es gibt schon genug Tote! Der Zweck heiligt nicht die Mittel!«
    »Oh doch!«, konterte Paul Polte. »Genau das tut er.«

 
    127 Ubbo Jansen parkte einfach am Straßenrand. Er hätte Paul Polte am liebsten mit einer Ladung Schrot aufgehalten, doch Josy verhinderte das, indem sie mit rauer Barfrauenstimme raunte: »Nicht. Der Kerl führt uns garantiert direkt zu ihr.«
    Sie stieg aus dem Wagen, um Paul Polte zu folgen. Tim sah sie verzweifelt an. Einerseits wusste er, dass sie nicht auf ihn warten konnte. Er würde sie ohnehin nur behindern. Andererseits wollte er bei ihr sein, hatte das Gefühl, er müsse seiner Mutter helfen. Er verfluchte seine steifen Beine.
    Josy sah sich noch einmal kurz nach ihm um. Sie hielt aufmunternd ihr Handy hoch. Ein Kontaktversprechen. Sie wählte ihn an und heftete sich gleichzeitig an Poltes Fersen. Selbst im Gedrängel durch die Demonstranten verlor sie Paul Polte nicht. Seine roten, abstehenden Ohren waren wie Leuchtsignale.
    Ubbo Jansen baute den Rollstuhl für seinen Sohn auf. Tim war schrecklich aufgeregt und wollte sofort hinter Josy her. Es dauerte ihm viel zu lange, er fand, sein Vater stelle sich ungeschickt an.
    Thorsten Gärtner rannte hinter Josy her und auch Justin verschwand in der Menge.
    Über sein Handy stellte Tim immer wieder die gleichen Fragen: »Josy? Josy, wo bist du? Siehst du ihn noch? Josy, ist er bei Ma?«
    Aber Josy antwortete nicht. Er hörte nur ihren schnellen Atem.
    Sein Vater half ihm jetzt in den Rollstuhl. Er hatte das doppelläufige Schrotgewehr ans Auto gelehnt.
    »Wo ist sie?«, fragte Ubbo Jansen und griff nach der Waffe.
    Tim deutete seinem Vater an, er solle still sein. Es war sehr laut um sie herum und er hatte Mühe, Josy zu verstehen.
    »Sie sind ganz nah. Ich bin da!«, rief sie. »Es ist ein Lkw. Darauf ist groß Werbung von einem Fischrestaurant: Die Matjeswochen haben begonnen. – Ich wette, sie ist da drin. Der Mann ist im Lastwagen verschwunden.«
    Tim reckte seinen Hals. Aber er konnte nichts sehen, die Menschen versperrten ihm die Sicht. Er zog sich am Auto hoch und versuchte, aus dem Rollstuhl in den Stand zu kommen.
    Er schwitzte augenblicklich, doch es kam nicht durch die körperliche Anstrengung. Es war Angstschweiß. Versagensangst. Angst um seine Mutter. Seinen Vater. Angst um Josy.
    Mit seinen feuchten Fingern rutschte er am glatten Lack ab und stürzte. Menschen rannten an ihm vorbei. Sie beachteten ihn nicht. Ein Auto hupte. Er sah nur noch Füße und Knie. Etwas traf ihn am Rücken und sein Rollstuhl rollte ohne ihn ein Stückchen die Straße hinunter.
    Plötzlich hatte er auch Angst um sich selbst. Angst, totgetreten zu werden. Er streckte seine Hand vergeblich nach Hilfe aus. Dann rollte er unter den Wagen. Hier war er sicher, zumindest hoffte er das. Er kam sich feige und nutzlos und ausgeliefert vor. Er sah über sich den Auspuff und brüllte ihn an. Er legte den ganzen Schmerz seiner verletzten Seele in den einen Schrei. Es klang nicht menschlich, sondern nach einem verwundeten Berglöwen.

 
    128 Bettina Göschl sah die Sondersendung im Fernsehen, während Leon schon wieder durch die Wohnung tobte, als sei er nie krank gewesen. Es wurde aus Berlin berichtet; eine mit Kameras und Mikrofonen
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