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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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abwechselnd für Ubbo Jansen gehalten, den Exmann der Bürgermeisterin, oder für einen Berufspolitiker aus Hannover oder Berlin. Dieser Umstand erfüllte ihn eigenartigerweise mit Stolz und Angst gleichzeitig. Der Identitätenwechsel in die scheinbare Bedeutsamkeit tat ihm gut. Etwas an dieser Rolle gefiel ihm.
    Er wurde fotografiert und gefilmt. Man stieß ihn vorwärts, beschimpfte ihn als »faulen Millionär«, »Politgangster« und »Volksverarscher«. Aber selbst in den Schimpfworten lag Respekt.
    Der Ems-Jade-Kanal schlängelte sich vor ihm durchs Grün wie ein gewaltiges Tier. Schön. Geheimnisvoll. Angriffslustig.

 
    125 Sie brachten Bürgermeisterin Jansen und Niklas Gärtner in einen leeren Lkw, keine hundert Meter von der Brücke entfernt. Eine Digitalkamera wurde auf der Ladefläche aufgebaut. Es roch nach Räucherfisch und eine Kiste voll mit Bratheringen in Gläsern stand aufgerissen in einer Ecke. Paul Polte benutzte sie als Sitzgelegenheit, die Gefangenen hockten sich auf den Boden.
    Polte verlangte von der Bürgermeisterin, sie solle eine Erklärung verlesen. Sie warf einen Blick auf den Zettel und weigerte sich. »Das ist falsches Deutsch«, sagte sie. »Das lese ich nicht vor.«
    Paul Polte riss ihr den Zettel aus der Hand. Er hatte das Zittern ihrer rechten Hand gesehen, sonst hätte er sie vermutlich für genau die eiskalte Ziege gehalten, die sie hier zu spielen versuchte, obwohl das Atmen ihr so schwerfiel. Sie musste jeden Atemzug bewusst mit voller Körperkraft machen. Es war jedes Mal ein anstrengender Kraftakt der Muskeln. Sie hatte das Gefühl, als quetsche ein eiserner Ring, ein metallenes Korsett, ihre Brust zusammen.
    »Was ist hier falsch?«, wollte Paul Polte wissen.
    Sie versuchte, ihrer Stimme einen schnippischen Unterton zu geben: »Man fordert kein Ultimatum, man stellt es. Und es heißt nicht: Sie sind verantwortlich, wenn ich erschossen werde. Es muss richtig heißen: Sie wären verantwortlich, wenn ich erschossen würde. Konjunktiv, junger Mann, Konjunktiv. Oder steht es schon fest, dass ich erschossen werde? Ich meine, wenn das hier beschlossene Sache ist, dann …«
    Paul Polte kaute auf der Unterlippe herum. »Nein. Nein. Natürlich nicht. Wir wollen Sie nicht töten und ihn auch nicht …« Er zeigte mit der Pistole auf Niklas Gärtner – der erschrocken die Hände hob.
    »Wenn unser Tod nämlich schon feststünde«, fuhr Bürgermeisterin Jansen unbeirrt fort, »dann sähe ich keine Veranlassung, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und diesen Müll vorzulesen.«
    »Das ist kein Müll!« Er schielte zu Roger, seinem Komplizen. Bisher war ihre Beziehung dadurch gekennzeichnet gewesen, dass Roger seinen Freund Polte für intelligenter hielt, als er selbst war, und sich ihm deshalb problemlos unterordnete. Aber jetzt begann Roger an Paul Polte zu zweifeln.
    »Ich bestimme, was Sie vorlesen«, schrie Polte wütend, »und nicht Sie!«
    »Es sollte schon alles stimmen an der Erklärung, damit die Leute nicht denken, das hätte ein Idiot geschrieben«, mischte Roger sich nun ein.
    Paul Polte würdigte ihn keines Blickes, er knüllte den Zettel zusammen und wandte sich an Kerstin Jansen. »Sagen Sie in die Kamera, was Sie wollen. Hauptsache, die Militaristenbande da draußen zieht ab.«
    »Und wenn nicht, bringen Sie mich dann doch um?«
    Paul Polte erwiderte nichts darauf. Er erhob sich und trat von einem Bein aufs andere. »Was ist?«, fragte er nervös. »Steht die Leitung?«
    Der Rattenkopf am Laptop, eine junge Frau, schüttelte den Kopf. »Das ist nicht mein Gerät. Ich hab einen Mac. Ich komm hiermit nicht klar.«
    Paul Polte verdrehte die Augen. Niklas Gärtner hustete.
    Die Bürgermeisterin bestand auf einer Antwort. »Sonst bringen Sie mich um?«
    Polte nickte. Aber er schaffte es nicht, sie dabei anzusehen. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, mache ich nicht.«
    Fast wäre er damit herausgeplatzt, dass nicht einmal seine Waffe echt war, aber dann schluckte er das lieber hinunter und behielt die information für sich. Er hatte Angst, die Situation könnte dann umkippen und ihm völlig entgleiten.
    »Werden Sie also nicht«, wiederholte Bürgermeisterin Jansen und der eiserne Ring um ihre Brust, der ihr das Atmen so schwer gemacht hatte, lockerte sich.
    Paul Polte beugte sich jetzt zu ihr, seine Stimme und seine Körperhaltung veränderten sich.
    »Frau Dr. Jansen …«
    Sie nahm fast amüsiert zur Kenntnis, dass er sie gerade zur Doktorin ernannt hatte.
    »Bitte …«, fuhr
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