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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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gegen das Glas und versuchte, etwas durch die blinde Scheibe zu entdecken, doch es rührte sich nichts. Resigniert ließ er die Arme sinken. »Ich verstehe das nicht. Sie hat die Uhrzeit doch selber vorgeschlagen.«
    »Vielleicht schauen wir mal, ob ihr Auto da ist«, schlug Wencke vor.
    »Shirin hat kein Geld für ein Auto. Aber das Fahrrad   …« Er hastete die wenigen Stufen wieder hinauf und lief zu einem Holzverschlag, Wencke folgte ihm. Im Chaos, zwischen einer ausgeweideten Spülmaschine und einem Wäscheständer, klemmte ein bunt bemaltes Vehikel. »Da steht es. Sie
muss
da sein.«
    »Oder sie ist eben kurz noch etwas einkaufen gegangen – zu Fuß, meine ich. Wir warten einfach im Auto auf sie.« Wencke hielt Wasmuths Aufregung für etwas übertrieben. Inzwischen hatte er begonnen, Shirins Namen zu rufen, es klang, als suche er nach einem kleinen Kind. »Shiri-hin!«
    Im Hinterhaus öffnete sich ein Fenster und eine ältere Dame schob ihren mächtigen Busen über den Sims. »Da ist keiner«, gab sie ungefragt Auskunft.
    Wasmuth drehte sich zu ihr herum. »Frau Hagekamp, guten Morgen.« Er lief hastig auf sie zu, schenkte ihr einen Händedruck und ein missionarisches Lächeln. »Frau Talabani und ich sind heute verabredet.«
    Die Seniorin schüttelte ihre fliederfarbenen Locken. »Dann muss sie es vergessen haben. Da ist niemand. Das Licht war heute die ganze Zeit aus. Ich hab vorhin die Post aus ihrem Kasten genommen, das mache ich ja immer, wenn sie nicht dasind, damit das nicht auffällt. Einbrecher lieben Kellerwohnungen, wissen Sie.«
    Doch Wasmuth gab sich nicht zufrieden. »Hat sie gesagt, wo sie ist?«
    »Nein. Hat sie diesmal wohl nicht dran gedacht. Vielleicht was Kurzfristiges?«
    »Und die Kinder?«
    »Die sind heute Morgen ganz normal zur Schule.« Plötzlich verzog sich das Gesicht der Frau zu einer sorgenvollen Miene. »Hoffentlich ist nichts   … na ja, wenn man an damals denkt, die arme Frau   … Ihr wird doch nichts zugestoßen sein?«
    Wasmuth antwortete nicht, wurde aber zusehends unruhiger. Er war ohnehin ein blasser Typ, doch allmählich wechselte seine Gesichtsfarbe ins Kalkweiße. »Ich schau mal, ob man was sehen kann.«
    Hastig lief er zu einem der Hoffenster, hinter denen es dunkel war. Irgendwie war Wasmuths Sorge ansteckend. Wahrscheinlich gab es tausend Erklärungen, warum Shirin Talabani entgegen der Abmachung nicht zu Hause war. Bestimmt steckte eine Harmlosigkeit dahinter. Eine Unzuverlässigkeit oder irgendwelche kurzfristigen Dinge, die zu wichtig waren, um sie aufzuschieben, vielleicht auch einfach ein Versehen bei der Terminabsprache. Wencke wunderte sich selbst, dass eine innere Stimme partout Panik zu bereiten versuchte, während ihr Verstand dagegenhielt: Nun lass mal die Kirche im Dorf, hier ist nichts passiert, so ein Blödsinn!
    Trotzdem, Wencke witterte etwas, hartnäckig. Und aus Erfahrung wusste sie, dass sie ihrem Bauch oft mehr vertrauen konnte als ihrem Verstand. Schon während ihrer Zeit als Kripofrau. Nun meldete sich die Intuition nach einer langen Auszeit das erste Mal wieder – und verhieß nichts Gutes.
    Deshalb zwang sie sich, sachlich und logisch weiterzumachen. Wasmuth, der gerade durch die Fenster spähte, warschon nervös für zwei. Sie stellte sich hinter ihn. »Können Sie etwas sehen?«
    Die vorgezogenen Gardinen machten den Blick nach innen unmöglich. Bunte Blumenaufkleber auf dem Glas bildeten ein fröhliches Muster. Auf der Fensterbank lagen glänzende Murmeln und drei Playmobilmännchen. Wencke kniete sich neben Wasmuth, dunkelte mit den Händen ihre Augen ab und starrte gegen den weißen Stoff. »Was ist das für ein Zimmer?«
    »Dort schlafen Roza und Azad. Daneben ist die Küche, da sieht man mehr.«
    Wencke stellte sich an Wasmuths Seite. Der kleine Holztisch war gedeckt, drei Frühstücksbrettchen, auf zweien lagen Krümel, das andere schien unbenutzt zu sein. In einem der Kaffeebecher war Milch. Der Käse, der in einer geöffneten Plastikverpackung lag, hatte sich am Rand nach oben gerollt. Ein paar Fliegen machten sich daran zu schaffen.
    »Shirin ist total ordentlich. Sie lässt nichts herumliegen   …«, gab Wasmuth zu bedenken.
    »Wissen Sie, welche Schulen die Kinder besuchen?«
    Er zog die Stirn kraus. »Azad ist auf der Stadtschule, Roza müsste die Berufsschule besuchen. Warum?«
    Neben der Spüle lagen Butterbrotpapier und ein angebrochener Karton Trinkkakao im Minitetrapak. Ähnlich sah es bei Wencke morgens aus,
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