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Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
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Museum hätte geklaut haben können.
    »Was jetzt?« Seine hellblonden, dünnen Haare standen wirr vom Kopf ab. »Soll ich das Fenster einschlagen?«
    »Nein, um Himmels willen! Nehmen Sie den Besenstil und versuchen Sie, durch den Fensterspalt hindurch die Jalousie zur Seite zu schieben. Dann leuchten wir in den Raum. Sie werden sehen, es ist alles in Ordnung.«
    Er kniete sich hin, seine Arme zitterten, als er Wenckes Anweisungen befolgte. Er war ein Nervenbündel. »So müsste es gehen«, rief er endlich.
    Wencke kniete sich neben ihn und knipste die alte Lampe an. Der Videomann war nun auch neugierig geworden, unterbrach seine Arbeit und stellte sich breitbeinig hinter sie. »Kümmern Sie sich lieber um Ihre ›Sexy Girls auf heißen Öfen‹«, zischte Wencke. Doch er blieb, wo er war.
    Der schmale Lichtkegel fiel durch die graue Scheibe, an der die Abgase aller Wunstorfer Kraftfahrzeuge zu kleben schienen. Auf einem Stuhl lagen eine Jeans und ein Pullover. Der kleine Schreibtisch neben der Zimmertür wirkte voll, aber aufgeräumt.Die Zimmerpalmen gediehen trotz der Sonnenarmut in diesem Kellerloch prächtig. Shirin Talabani schien es irgendwie geschafft zu haben, das Beste aus ihrer Wohnsituation herauszuholen.
    »Was wollen Sie denn von der Frau?« Der Videomann ließ sich nicht abwimmeln, und sein Doppelkinn schwabbelte vor Aufregung.
    Wencke blieb stumm. Um das Bett in der Ecke neben dem Fenster zu beleuchten, musste sie sich ziemlich verrenken. Sie presste sich gegen den Fensterrahmen und schob sich ganz nach rechts. Wasmuth drückte die hölzernen Lamellen noch weiter zur Seite. Ein Gestell mit verschnörkelten Eisenstangen, kein Doppelbett, das Laken war zerknüllt. Die Decke lag ausgebreitet über der Matratze, etwas zu weit oben, so als hätte jemand das Bett gemacht, dann aber mittendrin aufgehört. An eine Ecke war etwas Buntes geknotet.
    »Soll ich mal?«, fragte Wasmuth atemlos.
    Das schien ein Tuch zu sein, vielleicht ein Kopftuch. Kariertes Muster, konnte Satin sein.
    »Können Sie etwas erkennen?«
    Das Tuch war sonderbar verschlungen, fast geflochten, es bildete eine feste Schlaufe.
    »Soll ich die Bullen rufen?«, bot der Videomann an.
    »Ja, das sollten Sie tun!«, antwortete Wencke.
    In der Schlaufe steckte ein Fuß.
    »Was   … ist   … was   … haben Sie   …« Wasmuth drehte sich plötzlich weg und sagte kein Wort mehr. Er musste es an ihrem Gesicht abgelesen haben: Wenn Shirin Talabani die Frau war, die in diesem Bett lag, würde sie wohl nie wieder aufstehen können. Seine Hände umklammerten den Besenstiel, er holte aus und schlug gegen die Scheibe. »Verdammt!« Mehr als einen kleinen Sprung im Glas verursachte er nicht, doch der zweite Hieb brachte das Fenster zum Zerbersten. Passantenblieben stehen, den telefonierenden Softpornoverleiher hatte bereits eine kleine Gruppe Gaffer umringt. Wasmuth schien davon nichts mitzubekommen. Er riss mit bloßen Händen die zersplitterten Stücke aus dem Rahmen, griff durch das so entstandene Loch und öffnete von innen das Fenster. Seine Hand war nass vom Blut.
    »Wir müssen da rein!«, schrie er unentwegt. Doch als die Öffnung groß genug war, um hindurchzusteigen, verließ ihn der Mut oder die Kraft, und er ließ sich matt auf die Pflastersteine sinken.
    Wencke ahnte, es war ohnehin alles umsonst und man sollte nicht zu viele Spuren in diesem Kellerraum hinterlassen, doch sie brachte es nicht über sich, den verzweifelten Wasmuth um das letzte bisschen Hoffnung zu bringen. Und sich selbst. Hatte sie die Gefahr, die von der Familie ausging, unterschätzt? War ihr bei dem Gespräch mit Armanc Mêrdîn etwas entgangen, mit dem die Katastrophe vielleicht hätte verhindert werden können? Diese Fragen trieben sie voran, ließen Wencke unvorsichtig, vielleicht sogar unverantwortlich werden. Egal! Sie stieg, die Füße voran, durch das Fenster und betrat den Tatort. Die Scherben ritzten leicht in ihren Rücken, als sie sich über den Heizkörper schob, um langsam den sicheren Boden zu erreichen, und sie war froh über den Schutz ihrer unzerstörbaren Jeansjacke.
    Im Zimmer war es stickig, trotz des geöffneten Fensters. Kein Licht brannte, alles schien an seinem Platz zu stehen, nichts deutete darauf hin, dass hier vor wenigen Stunden etwas Furchtbares geschehen war. Nichts, außer dieser Frau im Bett, deren Arme und Beine mit bunten Tüchern   – Blumenranken und Punkte und Karos und Streifen – an das Gestell gefesselt waren und deren
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