Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Todesbraut

Titel: Todesbraut
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Gesicht unter der nach oben gezogenen Decke verborgen lag.
    Wencke schlug das Bettzeug mit langsamer Bewegung zurSeite. Das Gesicht, das ihr eben noch auf dem Handydisplay ein Champagnerlächeln gezeigt hatte, war nun so leblos wie eine Gipsfigur: die Augen geschlossen, der Mund halb geöffnet, die Male am Hals zeichneten sich bläulich auf der blassen Haut ab. Widerwillig berührte Wencke das Handgelenk. Doch als sie die Unbeweglichkeit und Kälte des Armes zu spüren bekam, das Grau der Haut, das Dunkel der ersten Todesflecken sah, wusste sie, ein Pulsschlag war das letzte Mal vor mindestens zwölf Stunden zu fühlen gewesen.
    »Die Hure ist tot«, hörte sie von draußen eine Stimme.
    Eine herannahende Polizeisirene übertönte sämtliche Reaktionen auf diesen Satz.

… tiefe   …
    Wieder mal zu spät. Das Essen wartet vorwurfsvoll in der Mikrowelle. Seine Frau scheint unterwegs zu sein. Seit letzter Woche werden Begegnungen vermieden.
    Auf dem Küchentisch liegt das Heft, die Tochter hat eine Fünf in Mathe.
    Daneben ein Zettel: Denk an die Türklinke. Drei Ausrufezeichen dahinter. Seit einem Monat ist die Türklinke im Gästeklo locker. Wenn man nicht aufpasst, hat man das Ding in der Hand und kann nicht mehr raus. Eine Schraube festdrehen, mehr nicht.
    Die Pfirsiche im Obstkorb sind matschig. Normalerweise wirft seine Frau so etwas in die Biotonne. Die Obstfliegen feiern ein Fest auf der Fensterbank.
    Alles geht den Bach runter.
    Im Wohnzimmer blinkt der Anrufbeantworter. Ein Anruf in Abwesenheit. Das Blinken spiegelt sich im staubfreien Vitrinenglas. Auf dem Parkett breitet sich der weiße Teppich aus. Kein einziger Fleck in der hellen Wolle.
    Zweifaches Blinken. Wie ein Ruf: Schau nach, wer angerufen hat.
    Die Mikrowelle klingelt. Das Essen ist jetzt zu heiß, er verbrennt sich die Zunge am Kartoffelbrei.
    Frühschicht bis 13.30   Uhr. Keine Ehefrau erfreut das auf die Dauer, irgendwann zweifelt sie, so viel Arbeit, immer und immer, das ist verdächtig. Dabei stimmt es heute sogar. Dienstplanverteilung. Wer da nicht erscheint, kriegt die Wochenenden. Aber seine Frau wird misstrauisch sein. Seit letzter Woche glaubt sie ihm kein Wort.
    Es ist eine Frage der Zeit, bis alles herauskommt, wirklich alles. Irgendwann geht es nicht mehr weiter bergab. Irgendwann ist man dann ganz tief unten angekommen.
    Mit dem Teller in der Hand läuft er ins Wohnzimmer. Drückt die Taste.
    »Sie haben – eine – neue – Nachricht.«
    Er pustet ein Loch in das Püree. Jetzt müsste es gehen, mit Soße vermischt.
    »Heute, 12.53   Uhr.«
    Vor einer Stunde.
    Auf dem Display erscheint die Nummer des Anrufers. Er kennt die Nummer.
    Der Teller verrutscht in seiner Hand und dunkle Soße tropft auf den Teppich. Der erste Fleck auf dem hellen Flor.
    »Hallo? Entschuldigen Sie die Störung   … Hier ist   … ähm   … könnten Sie bitte unter dieser Nummer zurückrufen? Es ist dringend.«
    Das ist nicht die Stimme, die zu der Telefonnummer gehört.
    Er nimmt den Hörer in die Hand.

3.
    Der Muezzin sang, und es dauerte eine ganze Weile, bis Wencke begriff, dass das Gedudel aus dem Handy der Toten kam. Als keiner der anwesenden Polizisten reagierte, streifte sie sich die Handschuhe über und nahm das Gespräch an.
    »Karsten Völker hier. Ich sollte zurückrufen?« Der Männerstimme war nicht anzumerken, ob sie aufgeregt war oder nicht. Er klang nur seltsam gepresst, als wäre er gehetzt oder auf der Hut. Als wollte er nicht erwischt werden.
    »Wencke Tydmers, LKA.   Es mag Ihnen merkwürdig erscheinen,dass ich angerufen habe, aber wir hatten Ihre Nummer auf dem Display einer   …« Zu dumm, diesen Satz konnte sie kaum noch beenden, ohne dass er ahnte, worum es ging. »Kennen Sie Shirin Talabani?« Hoffentlich hatte sie die Kurve noch rechtzeitig gekriegt.
    »Ihr Sohn geht bei mir zum Fußballtraining. Was ist mit ihr? Wurde ihr Handy gestohlen?«
    »So etwas in der Art.« Wencke geriet ins Stocken. Zwei Männer von der Spurensicherung drängten sich im engen Flur an ihr vorbei. »Haben Sie heute Morgen mit Frau Talabani telefoniert?«
    »Ich? Nein, ich hatte Dienst. Wir sind sozusagen Kollegen. POK Karsten Völker, Hannover Mitte, Raschplatz.« Er räusperte sich. »Sie können mir also ruhig sagen, weshalb Sie anrufen. Ich erfahre es spätestens morgen Vormittag auf der Dienststelle   …«
    Die Stimme klang zwar noch immer nervös, aber angenehm. Wencke legte eine Hand über den Hörer und beugte sich zu einem der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher