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Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Titel: Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Autoren: emons Verlag
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und Glas, teuer, aber nicht stilvoll. Die meisten Sitzmöbel gruppierten
sich um einen monströsen Tisch mit einer blau schimmernden Glasplatte und
blickten zu einem offenen Kamin hinüber, der, blitzblank, wie er war, wohl noch
nie benutzt worden war. Den hinteren Teil des Raumes beherrschte ein Flügel,
schneeweiß wie der von John Lennon. Er diente als Bildergalerie: Mindestens
zwanzig schmucke Aluminiumrahmen standen auf dem Instrument. Sie enthielten
Erinnerungsfotos von Hochzeiten, runden Geburtstagen, Urlauben und dergleichen.
Eines der Gesichter kam mir sogar bekannt vor. Es gehörte einem Mann Anfang
fünfzig mit kantigem Gesicht, der mit seinem stechenden Blick wie eine
Inkarnation des Ehrgeizes schlechthin wirkte. Ich wusste, wer der Kerl war,
irgendein Politiker, nur der Name wollte mir im Moment nicht einfallen.
    Aber dann stieß ich auf ein Zeitungsfoto, das sich auch hinter Glas
befand und denselben Mann zeigte, wie er Hans-Dietrich Genscher die Hand
schüttelte. Darunter stand in verschnörkelter Druckschrift:
    Yes, we can, das bedeutet zu Deutsch: Ja, wir
können. Und wir werden auch, verlassen Sie sich darauf.
    Diethardt Noteboom.
    Noteboom. Genau, so hieß der Kerl.
    »Herr Frings! Schön, dass Sie so schnell kommen konnten.« Frau
Tiedemann hatte den Raum betreten. Sie war schlank, hatte einen frechen
Bürstenhaarschnitt und einen übertrieben braunen Teint. Eine gesetzte
Erscheinung mit dem offenkundigen Bedürfnis, jung zu wirken. Seltsam, dass ich
sie wiedererkannte, obwohl sie mit der Hermine von damals, als sie mit
Gorbitsch zusammen gewesen war, kaum etwas gemein hatte: Dreadlocks und lange
indische Röcke waren damals ihr Outfit gewesen, außerdem war sie allen mit
ihrer esoterischen Frömmigkeit auf den Geist gegangen. Auf mich hatte sie einen
ganzen Abend eingeredet, um mich davon zu überzeugen, dass Gott keineswegs tot,
sondern vielmehr ein weibliches Gefühl kosmischer Einheit sei. Gorbitsch war
von ihr besonders genervt gewesen, ich konnte mich eigentlich an keine
Situation erinnern, in der der Haussegen zwischen den beiden nicht schief
gehangen hatte. Verglichen mit Hermine hatte ich mich seit damals nicht mal
halb so viel verändert. Vielleicht erinnerte sie sich deshalb nicht mehr an
mich.
    »Dann hat Ihnen Herr Gorbitsch also schon gesagt, um wen es geht?«,
fragte sie und deutete auf das Foto.
    »Um diesen Noteboom?«
    »Dieser Noteboom«, sie machte eine kleine, gekränkte Pause, »ist
mein Mann.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich unpassenderweise.
    »Warum sollte Ihnen das leidtun?«
    »Wenn die Angelegenheit ihn betrifft, warum wendet er sich nicht
selbst an mich?«
    »Nun, der Fall ist delikat, und außerdem ist Diethardt nicht
irgendjemand. Er ist Vorsitzender der Mittelstandspartei und hat eine große
Karriere vor sich. Die Umfragewerte zeigen steil nach oben. Eines Tages wird er
vielleicht sogar Bundeskanzler sein.«
    »Bundeskanzler?«, entfuhr es mir ungläubig. »Ist das nicht ein wenig
hoch gegriffen? Preußen Münster träumt ja auch nicht von der Champions League.«
    An Hermines pikiertem Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, dass sie
diesen Vergleich fast als persönliche Beleidigung empfand. »Janni – ich meine:
Herr Gorbitsch, mit dem ich eben telefoniert habe, meint, dass detektivischer
Spürsinn nicht gerade Ihre starke Seite ist …«
    »Hat er das wirklich gesagt?«, entfuhr es mir. »Sieht ihm ähnlich,
schließlich war er im Fach Üble Nachrede immer Klassenbester.«
    »… aber was Diskretion angeht, seien Sie der Beste. Deshalb
kommen Sie für diesen Job ja in Frage.«
    »Na schön«, sagte ich und fand noch immer nicht den richtigen Ton,
»wenn es um irgendwelche Sexgeschichten geht, können Sie sich darauf verlassen,
dass ich sie vertraulich behandeln werde.«
    »Sexgeschichten!«, echauffierte sich Frau Tiedemann angewidert. »Wie
kommen Sie denn bloß darauf? Die Klatschpresse hätte es natürlich gern, wenn es
da irgendwelche aus der Luft gegriffenen Gerüchte gäbe, um mit ihnen Auflage zu
machen. Ob sie damit Leben und Karriere eines außergewöhnlichen politischen
Talents ruinieren, ist denen doch egal.«
    »Dann geht es also nicht um Sex?«
    »Mein Mann ist der treueste Ehemann, den es gibt. Er ist über jeden
Verdacht erhaben. Eigentlich wollte er auch nicht, dass sich ein Detektiv der
Sache annimmt. Es war meine Idee.«
    »Ich höre«, sagte ich.
    Frau Tiedemann wies mir einen Platz an dem blau schimmernden
Glastisch zu und verschwand im
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