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Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi

Titel: Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
Autoren: emons Verlag
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friedlich
schneeschippenden Anwohner. Waren sie so sehr damit beschäftigt, das Wegstück
vor ihrem Haus frei zu schaufeln, dass sie nicht mitbekommen hatten, dass vor
ihren Augen ein Diebstahl verübt wurde? Dann fiel mir ein, dass das Rad
eigentlich Gorbitsch gehörte, ich hatte es vor einer Ewigkeit von ihm
ausgeborgt und nie zurückgegeben. Das machte die Sache schon erträglicher.

4
    »Kann ich Sie vielleicht mitnehmen, Kollege?«
    Von hinten hatte sich, nahezu geräuschlos, ein Wagen genähert. Es
war eine schlanke Limousine mit leise säuselndem Motor. Die Beifahrertür
schwang auf.
    Der Mann am Steuer winkte mir zu. »Steigen Sie ein«, rief er mit
einer hohen, fast quäkenden Stimme. »Sie sehen so aus, als ob Sie zu einer
Mitfahrgelegenheit nicht Nein sagen würden.«
    »Von mir aus.« Ich stieg ein. »Kaum zu fassen«, sagte ich. »Das
Fahrrad stand wochenlang unabgeschlossen auf der Straße. Ausgerechnet in der
spießigsten Gegend Münsters wird es geklaut.«
    Der Mann grinste, während der Wagen sich in Bewegung setzte. »Tja,
wenn das mal nicht der gute Conny war. Das ist schließlich sein Job.«
    »Fahrräder zu klauen?«
    »Conny nimmt herrenlose Fahrräder, die er findet, mit nach Hause,
putzt sie ein bisschen heraus und verkauft sie weiter. Damit verdient er sich
was nebenbei, verstehen Sie?«
    »Ich denke, er macht den Garten für Frau Tiedemann.«
    »Wissen Sie, wie viel diese Zicke ihm zahlt?«, quäkte der Mann am
Steuer. »Das ist ein schmales Taschengeld, zu wenig zum Leben, wie man so schön
sagt, und wenn Sie davon sterben wollen, müssen Sie eng kalkulieren.«
    »Den Rest des Geldes verdient er also durch Fahrradklau?«
    »Früher war er mal Weihnachtsmann und wurde gar nicht schlecht
bezahlt. Aber das hat er geschmissen.« Wir bogen in die Mondstraße ein.
»Fahrradklau!«, entrüstete sich der Fahrer. »Ich an Ihrer Stelle wäre vorsichtig
mit solchen ideologischen Diffamierungen. Es gibt Länder, da haben die Leute
nicht mal Brot zum Essen, also nehmen sie sich welches. Es bleibt ihnen gar
nichts anderes übrig, wenn sie überleben wollen.« Er musterte mich
angriffslustig. »Sind diese armen Schweine in Ihren Augen etwa Verbrecher?«
    »Brot ist doch etwas anderes als ein Fahrrad.«
    »Tja, damit sind wir wieder an dem klassischen Punkt: Der bedürftige
Mensch darf ausnahmsweise Brot klauen. Das sei ihm gestattet. Wasser darf er
meinetwegen auch dazu trinken. Und dafür hat er noch dankbar zu sein. Darf er
obendrein noch einen Fernseher haben? Ins Theater gehen? Und was ist mit
Fahrrädern, sind das Luxusgüter? Wer will das denn entscheiden, mein Guter?
Besteht denn wirkliche Armut nicht darin, dass andere Leute für einen
entscheiden, was zum Leben dazugehört und was nicht?«
    »Es ist noch nicht mal mein Fahrrad. Ich habe es von einem Freund
geliehen«, sagte ich. »Na ja, Freund ist eigentlich zu viel gesagt.«
    Der Wagen stoppte an einer roten Ampel. Mein Nebenmann drehte am
Suchknopf des Radios, dann schaltete er es aus. »Noteboom«, stellte er sich
vor.
    »Nee«, staunte ich. »Auf dem Foto sahen Sie aber ganz anders aus.«
    »Nicht der Noteboom, sondern der andere. Ottmar, der kleine Bruder
vom großen Star.«
    »Machen Sie auch in Politik?«
    Entrüstetes Kopfschütteln.
    »Was dann?«
    »Los, raten Sie doch mal«, quäkte Noteboom.
    Ich sah ihn mir genauer an: Er war unrasiert, das Haar fiel strähnig
in sein Gesicht. Schätzungsweise Mitte bis Ende vierzig. Unter dem staubigen
Sakko trug er ein graues Hemd, das früher mal kariert gewesen sein mochte.
Noteboom hatte es in die Jeans gestopft, die ihm zu groß war, und verhinderte
so, dass sie rutschte.
    »Pfarrer?«, riet ich.
    »Daneben.« Er grinste amüsiert. »Weiter!«
    Der Wagen, in dem wir so gut wie lautlos die Wolbecker Straße
stadteinwärts glitten, war ein Schmuckstück. Es lag nicht nur an dem Kontrast,
den er zum abgerissenen Outfit seines Trägers darstellte. Gorbitschs
Angeberkiste wirkte gegen Notebooms Fahrzeug wie ein schäbiger Gebrauchtwagen.
Dieses Auto hatte getönte Scheiben, so wie die riesigen Limousinen der
Gangsterbosse in Brooklyn.
    »Sie sind beim Film und spielen einen Tramp.«
    »Wieder falsch«, trompetete Noteboom. »Wenn auch dieses Mal nicht
mehr ganz kalt. Das mit dem Film ist natürlich Quatsch. Außerdem spiele ich
nicht. Es ist mir sozusagen ernst.«
    »Ganz unideologisch gefragt: Sie haben diesen Wagen nicht zufällig
geklaut?«
    Noteboom kratzte an seinem unrasierten Kinn. »Das
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