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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live
Autoren: D.G. Compton
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manipuliert werden konnten, um damit alles mögliche zu beweisen – war diese Ansicht natürlich eine Binsenwahrheit. Aber ich gebrauchte Worte wie ›existentiell‹ und ›Kontinuum‹ und ›Realismus‹ und erhielt den Job. Ich bekam die Sehimplantation… Was für ein unschuldiger Satz! – Und das alles war nicht im geringsten unmoralisch von mir, denn ich glaubte ehrlich – und glaube es noch immer, um genau zu sein –, daß ich für diese Arbeit viel besser geeignet war als jeder andere Bewerber.
    In der Praxis reduzierte sich all die Theorie darauf, daß der Zuschauer von mir auch im kürzesten Interview mindestens ein Dutzend Inserts vorgesetzt bekam, die im Laufe von Tagen oder Wochen, im Idealfall von Monaten aufgenommen worden waren. So erhielt er die wahre, die kontinuierliche Person vorgesetzt. Was mich anging, so lief es darauf hinaus, daß ich den berühmten ›ersten Eindruck‹ völlig mißachtete. Menschen wuchsen, formten sich, wurden real und wahr nur mit dem Ablauf der Dinge. Mein erster Blick auf Katherine Mortenhoe war deshalb nicht denkwürdig.
    Wahrscheinlich starrte ich sie an, während sie sich anstarrte, das Ich im Spiegel zwischen uns. Eitelkeit? Ich weiß nicht mehr, ob ich mir diese Frage bejahte oder verneinte. Ich habe keine klare Vorstellung, wie sie in diesem Moment aussah, nicht einmal, was sie trug. Zweifellos war ihre Kleidung dieselbe, die sie fünf oder zehn Minuten später anhatte, als sich meine Eindrücke zu ordnen begannen, doch meine Erinnerungen an jenen ersten Augenblick werden hoffnungslos überlagert von der Katherine Mortenhoe, jener kontinuierlichen Katherine Mortenhoe, die ich in den nächsten sechs Wochen kennen und, ja, in gewisser Weise auch lieben lernte. Die einzig wahre Katherine Mortenhoe, wie ich glaube.
    »Treten Sie ein, Katherine. Ich freue mich, daß Sie kommen konnten.«
    »Mir gefällt das Sprechzimmer gar nicht, das man Ihnen gegeben hat.«
    »Ist nur vorübergehend. Wir haben unten die Maler.«
    »Die Maler?«
    Wir zeichneten das Gespräch auf. Sie sprach ungläubig. Oder enttäuscht. Ich sollte das Band später durchgehen und jede kleinste Nuance interpretieren und um-interpretieren.
    »Setzen Sie sich, Katherine. Sagen Sie mir, wie es Ihnen geht.«
    »Ich wäre fast nicht gekommen. Es hieß am Telefon, die ganze Sache wäre ein Scheißirrtum.«
    »Ich muß mal mit der Terminabteilung reden – diese Ausdrücke!«
    »›Scheiß-Irrtum‹ war meine Erfindung.« Irgendwie hielt sie an diesem Begriff fest. Aber selbst bei der zweiten Wiederholung paßte das Wort nicht zu ihr. »Also?« fragte sie. »War es ein Scheiß-Irrtum?«
    Eine direkte, aber ängstliche Frage. Ich fand Dr. Masons Antwort bewunderungswürdig – mit einer Lüge wich er der anderen aus.
    »Ich bin ungern gezwungen, meine Patienten in Räumen zu empfangen, die sie nicht kennen«, sagte er. Und fuhr hastig fort, ehe sie darauf eingehen konnte: »Wie geht es Barbara? Ich hoffe, daß Sie sie nicht mit Worten wie ›Scheiß-Irrtum‹ füttern.«
    »Die Worte für die sexuellen Dinge…«, sie schien irgendeine Vorschrift zu zitieren, »sind rein und schön und dürfen nur in reinen und schönen Situationen verwendet werden. Mondlicht… Goldene Sandflächen… Italienische Olivenhaine… Wie wir uns das ohnehin am liebsten vorstellen.«
    »Das sagen Sie wahrscheinlich auch Peter.«
    »Der arme Junge…« Mason wußte, wie er sie lenken mußte, fort von dem Grund ihres Besuches. »Wissen Sie, Doktor, er hat recht seltsame Vorstellungen von Reinheit und Schönheit. Die Schönheit liegt im Auge des Betrachtenden, behauptet er. Ich sage ihm, daß poetische Beschreibungen von Ölraffinerien bei Sonnenuntergang überhaupt nichts bringen. Die Hälfte unserer Leser arbeitet dort. Homo oder hetero, sie sind alle gleich – sie wollen eingeredet bekommen, daß die Welt ein schöner Ort ist. Sagt man ihnen aber, daß auch die Welt, die sie kennen, schön ist, spucken sie einem ins Gesicht.«
    Ich riskierte eine Meinung – natürlich viel zu früh, aber Katherine Mortenhoe war einer jener Menschen – wann lernte ich je aus? –, den man verstehen kann, als läse man in einem offenen Buch. Sie war romantisch veranlagt. Sie hielt ihren Sprachschatz für männlich und gebrauchte ihn als Werkzeug, um in einer Welt voranzukommen, die ihr Vater zweifellos ›Männerwelt‹ genannt hatte. Von ihrer Sorte gab es nicht mehr viele. Sie hatte den Widerwillen des Romantikers vor der Gegenwart und den
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