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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live
Autoren: D.G. Compton
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darin, so einseitig sie auch waren, hatten Mitleid in mir geweckt, das nun leider durch mein Nachdenken über den Namen schnell zerstreut wurde. Denn als Ergebnis meiner Überlegungen begann ich zu dem Bedürfnis zu neigen, mich vielsilbig zu geben, und diese Art von Statusdenken langweilte mich. Jetzt saß ich neben Vincent und wartete darauf, daß die einzig wahre Katherine Mortenhoe auf der anderen Seite des Einwegspiegels erschien. Ich kann mich nicht erinnern, Vincent nach seiner Meinung über die Angelegenheit gefragt zu haben. Meine Vorurteile reichten für uns beide.
    Affen sitzen selten still. Das gleiche gilt für den nackten Homo sapiens im Paradies, für den Menschen vor dem Sündenfall. Sein Hintern ist einfach nicht widerstandsfähig genug. So läßt sich wohl die Mühelosigkeit, mit der wir heute unsere kahlen und schwabbeligen Hinterteile bei erstbester Gelegenheit niedersenken, die schönste Blüte der Zivilisation nennen. Wie dem auch sei, damals kam ich mir stets erbärmlich vor, wenn ich saß oder merkte, daß ich mich gesetzt hatte. Ich hielt mich für lax, für eklig passiv, als sei mein Arsch ein gigantischer parasitischer Sauger, der sich an den Rest der Schöpfung klammerte. Immer wieder rutschte ich hin und her. Entschuldigend lüpfte ich erst die eine, dann die andere Seite, um zu beweisen, daß das nicht wirklich so war. Ich bildete mir sogar ein, das Ploppgeräusch zu hören.
    »Nervös?« fragte Vincent und setzte sein Lächeln auf.
    Da ich in Wirklichkeit ausschließlich über den Namen Mortenhoe und seine mögliche Bedeutung nachgedacht hatte, mußte das Hin- und Herrutschen ein neurotischer Reflex sein. Ich ließ es also zu, daß sich beide Hinterbacken entschlossen festsaugten.
    »Ich hoffe nur, daß ich sie nicht hasse«, sagte ich.
    »Ich habe nichts gegen ein bißchen Engagement. Das weißt du.« Vincent schätzte es, wenn seine Interviewer Stellung bezogen. Das ergab bessere Sendungen. Aber das Programm, das wir diesmal planten, war doch anders. Wenn alles planmäßig ablief – und bei Vincent war das immer der Fall –, würde ich die nächsten sechs Wochen auf Katherine sitzen.
    »Mir wäre es lieber, wenn sie mir gefiele«, sagte ich. »Zum Vorteil für uns beide.«
    Und so stellte ich mir das wirklich vor – auf ihr zu sitzen, meine ich. Was wieder einmal zeigt, wie sehr das Unterbewußtsein am Werke ist. Vincent zündete sich eine Zigarre an. Es hieß, daß er sie sich speziell anfertigen ließ. Ich fragte mich, wer solche Gerüchte in die Welt setzte.
    »Solange du nur alle Rührseligkeit vermeidest«, sagte er.
    Natürlich scherzte er. Man hätte nie soviel Geld in einen Tränendrüsendrücker investiert… Ich weiß noch, wie ich zum Monitor in der Ecke über dem Einwegspiegel emporstarrte und mich wie immer ärgerte, daß ich darauf nicht das Gesicht erblickte, das ich in improvisierten Studio-Monitoren von Novaja Semlja bis Bangkok gesehen hatte. Das Gesicht mit den von der Kamera abgewandten Augen, das äußere Maß meiner selbst. Um es einmal zu sagen – auch Gesichter waren ziemlich schrecklich, wenn man sie sich genau betrachtete. Doch nun war da oben im Monitor in der Ecke über dem Einwegspiegel ein Bild des Monitors in der Ecke über dem Einwegspiegel zu sehen. Und darin wieder ein Bild des Monitors in der Ecke über dem Einwegspiegel. Und dann… Aber in all der Spiegeltrickserei, die in die Unendlichkeit führte, die sich zum kleinsten erkennbaren Muster in den 605 Zeilen des Bildschirms reduzierte, wo steckte da ich?
    Idiotischerweise wandte ich mich ab und versuchte dann ganz schnell wieder hinzuschauen, wie um die Technik zu überlisten. Ich wußte, das war Blödsinn, aber ich versuchte es. Das Bild blieb natürlich gleich. In dem Monitor über dem Einwegspiegel der Monitor über dem Einwegspiegel. Ich schloß die Augen. Meine Augen.
    Als ich sie wieder öffnete, schaute ich durch den Spiegel in das Behandlungszimmer, das dahinter lag. Dr. Mason hatte vor sich auf dem Tisch seinen Kugelschreiber hochgestellt. Er fuhr mit Daumen und Zeigefinger daran nach unten, drehte ihn herum und ließ wieder Daumen und Zeigefinger herabgleiten. Wenn ich mich auf mein peripheres Sichtfeld konzentrierte, vermochte ich gerade noch das Monitorbild Dr. Masons auszumachen, wie er seinen Kugelschreiber umdrehte und erneut mit Daumen und Zeigefinger daran entlangstrich.
    Rahmen-Image wird das genannt. Verflixt schlau, diese Mikro-Elektro-Neurologen. Kurz MEN
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