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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live
Autoren: D.G. Compton
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sich knapp fünf Minuten zuvor bereitgelegt hatte, putzte seine Nase, wischte sich die Augen aus und räusperte sich. Er überließ nichts dem Zufall, unser Dr. Mason.
    »Führen Sie sie bitte herein«, sagte er.
     
    Plötzlich, ganz überraschend, hatte das Medizinalzentrum angerufen.
    Bisher waren diese Anrufe immer von ihr ausgegangen. Stets ein wenig beschämt und deshalb in scharfem Tonfall. Natürlich sei Dr. Mason ein vielbeschäftigter Mann, aber auch sie habe zu tun. Und sie, nicht er, sei neurotisch. Und wenn er ihr keine neuen Kapseln verschriebe – irgendwelche Placebos –, würde sie wohl nicht bis zum Ende der Woche durchhalten. Sie lese gerade die Korrektur des neuen Romans von Celia Wentworth oder Arnes Paladine oder Ethel Pargeter – dabei immer leise Selbstironie in der Stimme –, und die müsse am Freitag fertig sein. Und stets waren sie sehr freundlich und nannten ihr noch einen Termin für den gleichen Nachmittag.
    Es gab da andere Dinge, die sie nicht erwähnte.
    Zum Beispiel, daß ihre Arbeit anstrengend und kreativ war. Daß es keinen Sinn hatte, sich vorzustellen, man habe da einen Computer und könne sich nun hinsetzen und das Denken allein der Maschine überlassen. Auch daß sie dem Verwaltungsrat für ihre Abteilung verantwortlich war – Peter war zwar ein netter, kluger Junge, doch er konnte eine Handlungsschleife nicht von einer Enthüllungsphase unterscheiden. Daß sie tatsächlich die Abteilung verkörperte… Das waren Dinge, die sie nicht anführte, denn sie gehörten zu den Argumenten jedes kleinkarierten Bürokraten und Organisationsmenschen seit Anbeginn.
    Solche Argumente reservierte sie ausschließlich für Dr. Masons Ohren. Er kannte sie und wußte, daß sie es nicht nötig hatte, sich vor den anderen aufzuspielen.
    Und dann kam plötzlich ganz überraschend der Anruf vom Medizinalzentrum. Es hieß, sie sei für den kommenden Dienstag vorgesehen, und man wolle nur die Verabredung bestätigen.
    Sie habe keine solche Verabredung getroffen, erwiderte sie, und wäre sicher, da müßte ein Irrtum vorliegen.
    Man stimmte zu, daß ein Fehler durchaus möglich sei, aber der Termin stünde nun einmal fest. Vielleicht wolle sie ihn trotzdem ausnützen – periodische Gespräche mit dem Arzt schadeten ja nicht, erwiderte man, auch wenn sie kerngesund sei. ›Man‹ war ein jüngerer Mann, dessen Stimme freundlich klang. Doch seine Freundlichkeit war professionell, und er war wahrscheinlich nur deswegen eingestellt worden.
    Sie erhob keine Einwände, sagte, sie würde zur Stelle sein, trug den Termin in ihren Tischkalender ein und vergaß ihn sofort. Oder genauer gesagt, sie erinnerte sich falsch daran, schob ihn im Geiste auf Mittwoch vor, den Tag, an dem sie auch zum Friseur gehen wollte. Denn sie wußte sehr wohl – und sah der Tatsache mutig ins Auge –, daß es eigentlich nur einen Grund geben konnte, weshalb Dr. Mason sie sprechen wollte. Das Zentrum machte keine Fehler. Wenn Dr. Mason sie sehen wollte, dann, weil sie wirklich krank war – nicht nur leicht neurotisch – überspannt, hätte ihre Großmutter gesagt –, sondern krank. Physisch krank.
    Sie spielte kurze Zeit mit dem Gedanken, daß sie sterben müsse. Das war dramatisch, aber unwahrscheinlich. So etwas kam davon, wenn man die Phantasie einer Schriftstellerin hatte – oder, nun ja, Schriftstellerin war. Eine hübsche Vorstellung, charmant altmodisch. In der wirklichen Welt starben praktisch alle an Altersschwäche. Um Himmels willen, mit vierundvierzig war sie noch weit davon entfernt!
    Sie erzählte Harry von dem Anruf des Zentrums, am Abend, als sie nach dem Essen die Geschirrspülmaschine füllten. Sie erwähnte die Sache leichthin, glaubte ihn und nicht sich selbst damit zu schonen. Er erstarrte, einen Stapel schmutziger Bestecke in der Hand.
    »Was wollen die wohl?« fragte er.
    »Wollen? Nichts, das habe ich dir doch gesagt. Sie haben mehr oder weniger zugegeben, daß das Ganze ein Irrtum ist.«
    »Dann ist es ja gut.« Er lächelte sie an und bückte sich, um die Bestecke in die Maschine zu legen. Aber er glaubte ihr nicht.
    »Mein Lieber, wenn sie sagen, es ist ein Fehler, dann stimmt das auch, dessen bin ich mir ganz sicher. Schließlich mußt du ja am besten wissen, was für ein Durcheinander in solchen großen Büros herrscht.«
    »Natürlich weiß ich das.« Er stapelte die Teller in den Ständer, während sie ihn beobachtete, schloß die Maschine und setzte sie in Gang. »Jedenfalls kann dir ein
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