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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live
Autoren: D.G. Compton
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Nun weinte sie um diese Blätter, aber zurückhaltend, nachdem Dr. Mason annahm, sie höre zu – arme kleine Dinger… Nur noch vier Wochen zu leben.
    »… Inzwischen haben wir eingesehen, daß die Informations-Überbelastung nur ein Teil des Problems ist. Das echte Gordon-Syndrom tritt nur auf, wenn der Zusammenbruch neuraler Stromkreise von einem bestimmten psychologischen Phänomen begleitet ist. Ein sehr subtiles und weitreichendes Phänomen. Da mir ein besseres Wort fehlt, möchte ich es Aufwühlung nennen. Die Wellenmuster, die dadurch hervorgerufen werden, sind einzigartig. Ihnen am nächsten kommen die Muster, die während heftigen physischen Ekels entstehen. Aber im Falle des Gordon-Syndroms ist der Ekel nicht physisch, sondern psychologisch bedingt und bewirkt anstelle von Unterleibsspasmen eine besondere Art neuraler Spasmen. Diese verschlimmern die bereits vorhandene neurologische Überbelastung dermaßen, daß die Nervenenden ausbrennen und die ›Leitungen‹ nachhaltig vernichtet werden.«
    Nein, die kleinen Blätter würden ihr nachfolgen. Natürlich würden sie das. Alles, jedermann würde ihr nachfolgen müssen. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit vom Fenster ab. Ganz klar. Neurologische Überbelastung. Vernichtete Leitungen. Sie brachte ihren Mund in die Form, die er vor dem Weinen gehabt hatte, und begann im Kopf eine Liste der Leute aufzustellen, denen sie es sagen würde. Liebling, es ist neurologische Überbelastung, verstehst du? Die ausgebrannten Nervenenden, sagt er. Sie sind gewissermaßen nachhaltig vernichtet… Die Liste der Leute war wie ihre Weihnachtsliste: zunächst lang und bei näherem Hinschauen immer kürzer. Bei noch näherem Hinschauen bestand sie nur aus Namen, nicht aber aus Gesichtern. Sogar das Gesicht ihres Vaters war unbestimmt, verschwommen hinter, zwischen den Stiefmüttern. Sie erweiterte den Kreis: Stellungen, Wohnungen, Distrikte, Städte. Auch die Namen bewegten sich. Schickt man Karten, erwähnt man neurologische Überbelastung gegenüber Leuten, an deren Gesichter man sich nicht erinnert?
    »Ich will damit nicht sagen, daß diese Aufwühlung etwas Bewußtes ist, Katherine. Ich bin sicher, daß sie weitaus tiefer liegt. Wir wissen nur, daß sie tief drinnen für Ihre Gegenwehr gesorgt hat. Wenn Sie sich weigern, die physiologische Realität zu akzeptieren – in Ihrem Falle neurale Überbelastung –, ist die Prognose schlimm. In Ihrem Falle wiederholte Anfälle. Beschädigung des Zellgewebes. Der Computer zeichnet ein klares Bild. Unabänderlich. Und kumulativ.«
    Harry. Sie mußte es Harry sagen. Aber er glaubte, sie ginge erst morgen zum Arzt. Sie konnte es ihm dann noch sagen. Oder vielleicht erst später. Vielleicht auch gar nicht. Eine Heldin Celia Wentworths hielt nichts für real, solange nicht konkret darüber gesprochen wurde.
    »Sie sind außerordentlich feinfühlig, Katherine. Das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Irgendwo in der Vergangenheit hat sich diese Feinfühligkeit aufgelehnt. Gegen eine Person, gegen irgendein Ereignis, vielleicht gegen einen ganzen Lebensstil. Und ein Muster hat sich herausgebildet, das nach und nach auf Touren gekommen ist… Ich hoffe, Sie verstehen, daß wir Ihnen nicht helfen können. Und ich hoffe, Sie verstehen auch den Grund.«
    Sie bemerkte, daß Dr. Mason nun schwieg. Er schien zu glauben, er hätte genug gesagt. Ausgebrannte Leitungen… Dabei mußte sie an die arme Barbara denken. In zwei Jahren, in den letzten beiden Jahren, dreihundert Bände Wentworth, Paladine, Pargeter, jeder fünfzigtausend Worte, in fünfzehn Minuten bis zur Korrekturreife, jede Erstauflage von zehntausend Exemplaren innerhalb von vier Tagen ausgedruckt und aufgebunden, drei Millionen Exemplare, hundertfünfzig Millionen Wentworth-, Paladine-, Pargeter-Worte. Arme Barbara.
    Sie versuchte, auf Dr. Mason nicht böse zu sein. Es war ja nicht seine Schuld.
    »Meine Symptome«, sagte sie und betrachtete sich im Spiegel. »Sie wollten mir von meinen Symptomen erzählen.«
     
    Die Liste der Symptome war endlos. Nach einer Weile konnte ich nicht mehr hinhören. Es schienen fast mehr die meinen als die ihren zu sein – was auf gewisse Weise auch zutraf. Es waren meine Symptome und durch mich auch die der schmerzhungrigen Öffentlichkeit, ich freute mich nicht darauf. Ich hatte ihr Gesicht gesehen, ehe der Vorhang herunterging, und ich kannte dieses Gesicht.
    Es war das Gesicht meines Sohnes. Ehe wir auf seine winzigen Laute zu achten begannen, in
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