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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live
Autoren: D.G. Compton
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Verbindung setzen müssen.«
    »Wie lange habe ich?«
    »Das Prüfprogramm hat die Dinge verzögert.«
    »Wie lange habe ich noch?«
    »Nicht sehr lange.«
    »Wie lange?«
    »Der Computer sagt, noch vier oder fünf Wochen.«
    Es war schrecklich unfair, daß er so böse auf sie war. Sie sprachen ja nicht über seine Erneuerung. Er hatte Glück gehabt, er war fünfzehn Jahre verheiratet gewesen. Sie überlegte, daß es an der Zeit war. Aimee Paladine mal wieder einen Arztroman schreiben zu lassen.
    »Vielen Dank, daß Sie’s mir gesagt haben.« Aimees Ärzte waren entschieden mitfühlender. »Wenn’s nur noch so kurz ist, brauche ich mir keine Sorgen zu machen.«
    »Sie müssen versuchen, zu verstehen…«
    »Ich verstehe schon.« Zum Beweis lächelte sie. »Na ja, wir alle müssen einmal sterben.«
    Sie stand auf, knüllte ihr Kleenextuch zusammen und warf es in den Papierkorb neben seinem Tisch. »Na ja«, sagte sie noch einmal. »Dann gehe ich jetzt. Ich muß mich um eine Menge Dinge kümmern.«
    Endgültig. Sie ging. Sie wollte gehen. Auch er stand nun auf. »Ich meine, Sie sollten sich anhören, was ich zu sagen habe«, sagte er. »Ich möchte, daß Sie Ihre Krankheit verstehen. Und die Veränderungen, die es bei Ihren Symptomen geben wird.«
    »Wird es schlimm?«
    »Setzen Sie sich, Katherine. Sie müssen sich klarmachen, daß das ein schlimmer Schock für Sie gewesen ist. Es hat keinen Sinn, sich etwas anderes einzureden. Es wäre besser, wenn Sie darüber reden würden.«
    »Ich rede ja. Ich habe gefragt, ob meine Symptome schlimm werden.«
    Aber sie setzte sich. Er erwartete, daß sie wieder weinte. Weinen hatte angeblich etwas Therapeutisches. Es war seltsam, sich vorzustellen, daß sie nie wieder weinen würde. Sie wandte sich um und starrte ihr Spiegelbild an: Sie sah gar nicht wie eine Frau aus, die nie wieder weinen würde. Sie sah aus wie die Frau, die sie schon vor zehn Minuten hier im Spiegel gesehen hatte. Sie stellte sich vor, wie Barbara Sätze sortierte: Waren es wirklich nur zehn Minuten? Nur zehn Minuten, die Amanda, eine lebenssprühende, schöne Frau, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatte, zu einer ausgemergelten, wandelnden Leiche gemacht hatten? Wandelnde Leiche – das war natürlich starker Tobak, aber so etwas hatte bisher immer Anklang gefunden.
    »Ist das ein Einwegspiegel?« fragte sie.
    »Was für eine Frage!«
    »Ich habe das Gefühl, beobachtet zu werden… Macht nichts. Es lohnt sich wohl, mich zu beobachten. Ich bin etwas Besonderes, ja?«
    »Ein Fall unter zwanzig Millionen.«
    »Dachte ich mir. In meinem Alter stirbt kaum jemand.«
    »Sie haben nach Ihren Symptomen gefragt.«
    »Also los – erzählen Sie mir von meinen Symptomen.«
    »Zuerst müssen Sie das atypische Wesen Ihres physiologischen und psychologischen Zustands verstehen.«
    Das atypische Wesen ihres physiologischen und psychologischen Zustands verstehen… »Scheißen Sie auf Ihre langen Worte, Doktor«, sagte sie, die doch nur vier Wochen Zeit hatte. »Scheißen Sie drauf, für mich, ja? Bitte? Bitte!«
    Und dann, aber nicht, um ihm einen Gefallen zu erweisen, weinte sie.
    Sie weinte wegen Harry. Sie sah sich weinen, betrachtete sich im Spiegel, sah, wie sie sich veränderte, wie ihr Gesicht den verkniffenen Umriß verlor, wie ihre Ellenbogen plötzlich nicht mehr wichtig waren, und freute sich über den tragischen Effekt. Sie weinte einzig und allein wegen Harry – der seinerseits um sie weinen würde, aber nicht genug.
    »Grundsätzlich ist Ihr Problem eine Erkrankung der Gehirnzellen, Katherine. Oder eher der Leitungen dazwischen. Physikalisch gesprochen werden diese unterbrochen – ein Zustand, der sich wie bei einem Schneeballsystem ausbreitet, sobald er einen gewissen Punkt erreicht hat, und der absolut unabänderlich ist. Wir haben diesen Zustand früher einzig der Informations-Überbelastung zugeschrieben und daraus naturgegebene physische Grenzen für den Umfang und die Geschwindigkeit der Begriffsverarbeitung im menschlichen Gehirn festgelegt. Wurden diese Grenzen über längere Zeiträume hinweg überschritten, trat ein Komplex von Symptomen auf, den wir das Gordon-Syndrom nannten. Nach dem berühmten Pathologen. Unser Problem lag darin, zwischen dem echten Gordon-Syndrom, das tödlich ist, und weit verbreiteten Streß-Zuständen zu unterscheiden, die nicht zum Tode führen…«
    Vor dem Fenster sah sie die oberen Äste eines Baumes, den winzige gelbgrüne Blätter verschwommen erscheinen ließen.
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