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Tod in Seide

Tod in Seide

Titel: Tod in Seide
Autoren: Linda Fairstein
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zurück, und heiße Augustluft schlug mir entgegen, als ich auf die Gleise lief. Ich betete, dass Chapman zur Abwechslung einmal nicht übertrieben hatte. Bei der Flucht vor diesem gefühllosen Killer verließ ich mich auf seinen kurzen Abriss der Geschichte des Viertels. Chapmans Fakten mussten stimmen.
    Das verrostete Eisengerüst der stillgelegten Bahnstrecke erhob sich auf kräftigen Pfeilern über der Twentysecond Street und bahnte sich im weiteren Verlauf einen Weg zwischen zwei Gebäuden auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Schienenbett war breiter als die meisten kleinen Mietwohnungen in der Stadt. Nach einem hastigen Blick auf den mit Schmutz und Abfall bedeckten Boden wählte ich als Fluchtweg eine Route zwischen den alten Gleisen, in der Hoffnung, dort nicht über von Gras und Müll verdeckte Holz- oder Eisenteile zu fallen.
    Ich lief in Richtung Süden und schrie um Hilfe, Ich wusste, dass mich Brannigan und Lazarro, die auf der Nordseite von ›Caxton Due‹ geparkt hatten, weder sehen noch hören konnten, aber ich war mir sicher, dass es mir gelingen würde, irgendjemand anderen auf mich aufmerksam zu machen, der dann wiederum Hilfe holen könnte. »HILFE! POLIZEI!«, schrie ich aus vollem Hals, während ich auf die andere Seite der Twentysecond Street hinüberlief. Ich sah nach unten, ob zwischen den Lastwagen, die die ganze Straße blockierten, irgendjemand zu sehen war. Mein Atem ging heftig, als ich mich an der Gebäudekante neben den Gleisen festhielt, aber ich konnte auf dem Bürgersteig unter mir niemanden sehen. Wrenley stürmte durch die offene Glastür hinter mir her.
    Ich rannte weiter. Ich kam nur recht langsam vorwärts, da ich aus Angst, ich würde in irgendwelchen Löchern hängen bleiben und mich nicht mehr aufrappeln können, im Zickzack lief. Überall lagen Glassplitter und dreckige Injektionsspritzen, weggeworfene Schuhe und tote Tauben, und ich sprang über diesen Hindernisparcours in der Hoffnung, dass mich keiner dieser Gegenstände zu Fall bringen würde.
    Als ich die Lagerhallen passiert hatte, die zu beiden Seiten der Gleise emporragten, kam ich auf die Twentyfirst Street. Wieder blieb ich stehen, um hinunter auf die Straße zu sehen und um Hilfe zu rufen. Am anderen Ende des Blocks, in der Nähe der Eleventh Avenue spielten einige Kinder Ball. Eines von ihnen hörte mich und deutete zu mir herauf. »POLIZEI!«, schrie ich in ihre Richtung, ohne zu wissen, ob sie mich hören konnten. Ich blickte mich um und sah, dass Wrenley näher kam, also fing ich wieder an zu laufen.
    An der nächsten Kreuzung war ein offenes Eisengitter an der Seite des Geländers. Für einen Moment kam mir der Gedanke, über das Geländer zu klettern und mich daran hinunterzulassen. Ich war noch immer zu hoch über der Straße, um zu springen, aber vielleicht könnte ich mich an einem Vorsprung festhalten, bis die Polizei kam. Dann sah ich direkt unter mir den gerollten Stacheldraht, der mir seine spitzen Zacken entgegenstreckte, und lief weiter.
    Wrenley holte auf. Er nahm einen riskanteren Weg, gerade und unbeirrt in seiner Verfolgungsjagd. Auf dem nächsten Gleisabschnitt wurden die Gebäude um mich herum höher. Für kurze Zeit war ich im Schatten der Ziegelwände vor der brennenden Sonne geschützt.
    Ich hörte hinter mir ein Stöhnen und missachtete mein Diktum, nicht nach hinten zu sehen. Wrenley war an irgendetwas hängen geblieben und hingefallen. Ich holte tief Luft und rannte weiter an den riesigen Lagerhäusern vorbei auf einen langen offenen Gleisabschnitt. Mittlerweile musste ich südlich der Nineteenth Street sein. In der Ferne konnte ich das schwache Heulen der Sirenen hören. Ich hatte keine Ahnung, wie weit sie noch weg waren und auch wenig Hoffnung, dass sie mich in diesem Labyrinth von Einbahnstraßen finden würden.
    Als ich hinunter auf die Straße blickte, um nach den blauweißen Streifenwagen Ausschau zu halten, sah ich an der nächsten Kreuzung nur die hohe Verkehrsampel, deren rotes DON’T WALK – nicht gehen – mich drängte, nicht langsamer zu werden.
    Die bisher zurückgelegte Strecke hatte mich nicht so sehr ermüdet wie die hohe Luftfeuchtigkeit und die drückende Augusthitze. Ich schnappte nach Luft. Ich fühlte mich, als ob ich jede Minute schlapp machen würde, und versuchte, in der bleischweren, verbrauchten Nachmittagsluft etwas Sauerstoff in meine Lungen zu pumpen.
    Wrenley holte wieder auf. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um ihn zu sehen. Es genügte,
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