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Tod in Seide

Tod in Seide

Titel: Tod in Seide
Autoren: Linda Fairstein
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Chapman war immer noch dort, Mercer hatte zur Sonderkommission für Sexualverbrechen gewechselt. Obwohl sie, was ihren Background und ihr Wesen anging, sehr unterschiedlich waren, gaben sie am Tatort oder bei einer Morduntersuchung ein perfektes Team ab.
    Mit seinen vierzig Jahren war Mercer fünf Jahre älter als Mike und ich. Mercer war einer der wenigen afroamerikanischen Kriminalbeamten, die es bis in die oberste Etage der New Yorker Polizei geschafft hatten. Sowohl am Tatort als auch im Zeugenstand war er ein detailversessener Mann, auf den sich jeder Staatsanwalt, der eine hieb- und stichfeste Beweisführung liefern wollte, unbedingt verlassen konnte. Mercer hatte die Statur eines Linienverteidigers, aber er hatte ein Football-Stipendium der University of Michigan abgelehnt, um zur New Yorker Polizei zu gehen. Er war ernster als Mike Chapman, sehr konzentriert und zuverlässig, und von einer Liebenswürdigkeit, die für die völlig verstörten Opfer, mit denen er es zu tun hatte, oft der erste Lichtblick auf ihrem Weg zurück in den Alltag war.
    Mike Chapman war ungefähr einsachtzig groß und somit ein bisschen kleiner als Mercer. Er hatte pechschwarze Haare und ein schmales Gesicht, das jetzt, als er die tote Frau inspizierte, sehr ernst war. Mike hatte seinen Abschluss am Fordham College gemacht und sein Studium dort als Kellner und Barkeeper finanziert. Sein Vater war mehr als ein Vierteljahrhundert Polizist gewesen, und Mike war nie von seinem Entschluss abgewichen, in die Fußstapfen des Mannes zu treten, den er so sehr verehrte. Er verfügte über ein Lächeln, das mich aus praktisch jeder schlechten Stimmung reißen konnte, sowie über ein wahrlich enzyklopädisches Wissen, was amerikanische Geschichte und Militärgeschichte anging, seine Hauptfächer am College.
    »An vier Stellen festgebunden.« Wie mit einem Zeigestock deutete Chapman mit seinem Kugelschreiber auf die Leiche. Der schlanke Körper lag auf einer etwa zweieinhalb Meter langen Holzleiter. Die Frau war an Hand- und Fußgelenken an den schmalen Sprossen festgebunden, das dazu verwendete Seil war fest verknotet und verschnürt. Am Leiterrahmen hingen längere Taustücke herab, an zweien von ihnen waren noch große Steine befestigt.
    Mercer beugte sich über die Leiche und betrachtete die Gliedmaßen von allen Seiten. »Jemand hat sich unheimlich viel Mühe gemacht, um sicherzugehen, dass die Leiche vor Weihnachten nicht wieder auftaucht, oder was meint ihr?«
    Er hielt eines der losen, zerfetzten Seilenden hoch, von dem sich offensichtlich ein Gewicht – wahrscheinlich ein Stein – losgerissen hatte.
    Über Mercers Schulter hinweg konnte ich Craig Fleisher, den Gerichtsmediziner, herankommen sehen. Er winkte uns kurz zur Begrüßung zu und sagte: »Wir beeilen uns besser, bevor die Aasgeier kommen.« Neben seinem geparkten Auto war die Satellitenantenne eines Übertragungswagens von Fox 5 zu sehen. Der erste Reporter hatte also bereits über den Polizeifunk von dem ungewöhnlichen Fund Wind bekommen. In wenigen Minuten würden weitere Kamerateams eintreffen und um die sensationslüsternsten Aufnahmen der Leiche wetteifern.
    »Um was geht’s, Mike? Ist jemand ertrunken?«
    »Von Ertrinken kann keine Rede sein, Doc. Jemand hat die Leiche ins Wasser geworfen, um sie loszuwerden.« Wir beugten uns alle vor, als Chapman den Kopf der Frau mit einer Hand leicht zur Seite drehte. Mit dem Kugelschreiber fuhr er unter das verfilzte, nasse schwarze Haar, das an den hölzernen Sprossen der Leiter klebte, und hob es sanft an, um die Kopfhaut sichtbar zu machen. »Sie hat hier einen Schlag auf den Kopf erhalten, vielleicht mit einer Pistole oder mit einem Hammer. Ich wette, Sie werden einen oder zwei Brüche finden, wenn Sie sie morgen untersuchen.«
    Fleisher sah sich die klaffende Wunde näher an. Sein Gesicht zeigte keine Regung, während er mit den Fingern den Hinterkopf abtastete. »Sie war nicht sehr lange im Wasser. Höchstens ein oder zwei Tage.«
    Er wiederholte, was Chapman Mercer und mir bereits gesagt hatte. Die Verwesung hatte noch nicht eingesetzt, und die Blutergüsse, die auf dem Körper der Frau zu sehen waren, hatte sie sich vermutlich vor ihrem Tod zugezogen. »Fische und Krebse machen sich normalerweise sehr schnell über die Weichteile her, aber das Gesicht ist noch völlig intakt. Sieht so aus, als hätten sie nicht genug Zeit gehabt.«
    Fleisher war im kalifornischen San Diego ausgebildet worden und erst vor kurzem nach New York
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