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Tod in Innsbruck

Tod in Innsbruck

Titel: Tod in Innsbruck
Autoren: Lena Avanzini
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war ziemlich erfolgreich.« Er verzog den Mund. »Sie wissen, was Selbstständigkeit heißt: ständig selbst. Ich habe nicht viel Zeit für die Familie gehabt. Wenn ich heimkam, war ich müde und musste mir das Genörgel und Gejammer meiner Frau anhören. Irgendwann habe ich ihre Pedanterie, ihren Grant und auch ihren Erziehungsstil nicht mehr ausgehalten.«
    »Wie hat sie Mette denn erzogen?«
    »Für Lappalien hat sie das Kind streng bestraft. Wenn die Kleine sich beim Essen angepatzt hat, bekam sie eins auf die Finger. Da war sie zwei. Sie musste immer sauber und adrett sein, das kleine Schmuckstück meiner Frau. Mit drei Jahren hat Mette mit dem Klavierspiel angefangen. Dummerweise hat sie sich als ausgesprochen talentiert erwiesen. Als meine Frau das merkte, war es ganz aus. Mit vier Jahren musste Mette schon ein bis zwei Stunden am Tag üben. Da war für mich der Ofen aus. Ich habe die Scheidung eingereicht.«
    »Haben Sie nicht versucht, es Ihrer Frau auszureden?«
    Kindler lachte auf, hart und trocken. »Den Menschen gibt es nicht, von dem Ursula sich etwas hätte ausreden lassen.« Über seiner Nasenwurzel trat eine v-förmige Ader blau hervor. Die einzige Ähnlichkeit, die Heisenberg zwischen Kindler und seiner Tochter feststellen konnte.
    »Warum haben Sie nicht das Sorgerecht für Ihr Kind beantragt?«
    »Ursula hätte das nie zugelassen. Und welches Gericht spricht ein Kind dem Vater zu, wenn er so wenig Zeit hat wie ich? Ich hätte mich nicht genug um Mette kümmern können.«
    »Hm.«
    »Das werde ich mir für den Rest meines Lebens vorwerfen«, fügte Kindler leise hinzu, »dass ich es nicht einmal versucht habe. Mein Geschäft war mir wichtiger. Ich habe mich finanziell als großzügig erwiesen und mir eingeredet, damit wäre der Verantwortung Genüge getan.« Er drückte die Zigarette aus und steckte sich sofort eine neue an. »Nach der Scheidung habe ich das Kind alle zwei Wochen gesehen. Als Mette immer mehr üben musste, wurde auch das weniger. Ursula hat ein kleines Wunderkind aus ihr gemacht. Sie ist darin aufgegangen, Mettes Terminkalender zu managen, sie vom Klavierunterricht zum Ballett zu bringen, ihre Hausübungen und das Üben zu überwachen.«
    »Haben Sie nicht darauf bestanden, Ihr Kind öfter zu sehen?«
    »Anfangs schon. Bis mir eines Tages aufgefallen ist, dass Mette Ursula immer ähnlicher wurde. Damals war sie zwölf. Ein besserwisserisches, altkluges Aufziehpüppchen. Mit allen Charaktereigenschaften ihrer Mutter, die mich im Lauf unserer Ehe so abgestoßen haben. Von da an sahen wir uns kaum noch.«
    »Wussten Sie, dass Ihre Tochter Bettnässerin war und von ihrer Mutter dafür in den Keller gesperrt wurde?«
    Kindler starrte Heisenberg entgeistert an. »Nein.«
    »Wir haben eine Art Tagebuch von Mette gefunden. Sie hat mit Windeln geschlafen. Außerdem litt sie bis vor Kurzem an Nyktophobie.«
    »Was heißt das?«
    »Sie hatte panische Angst vor der Dunkelheit.«
    »Das … das höre ich zum ersten Mal.«
    »Mettes Tante wusste davon. Sie hat das Mädchen zu einem Psychiater geschickt, einem gewissen Dr. Czerny.«
    »Hat er ihr geholfen?«
    »Dr. Czernys Ruf ist … sagen wir, sehr zweifelhaft. Er selbst ist davon überzeugt, er hätte Mette geheilt. Bei ihrer letzten Sitzung hat sie ihm von dem Mord erzählt, in allen Einzelheiten.«
    »Mein Gott …«
    »Dr. Czerny hielt es für einen symbolischen Mord, eine Art rituellen Befreiungsschlag, der in ihrer Phantasie stattgefunden hat. Er fiel aus allen Wolken, als einer meiner Mitarbeiter ihm gestern versichert hat, dass es der Beginn einer Mordserie war.«
    Kindler stützte den Kopf in seine Hände. »Als Mette nach Innsbruck zu meiner Schwester gezogen ist, war ich froh. Ich dachte, jetzt ist sie endlich der Fuchtel ihrer Mutter entronnen und kann anfangen, zu leben. Wenn ich geahnt hätte …« Er sog an seiner dritten Zigarette. »Ich verstehe es trotzdem nicht! Wie wird ein Kind zu einer Mörderin? Auch wenn ihre Mutter zu streng war und ich als Vater nicht vorhanden, so ist sie doch nicht in asozialen Verhältnissen aufgewachsen. Sie hätte so viel aus sich machen können, mit ihrer Intelligenz und ihrem Talent.«
    »Was in ihrem Kopf vorgegangen ist, werden wir wohl nie bis ins Letzte verstehen. Auch Psychologen können in niemanden hineinsehen. Aber der Mord an der Tante, aus einem Gefühl panischer Angst heraus, muss wie ein Katalysator gewirkt haben. Als hätte man einen Schalter umgelegt, der alle Hemmungen
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