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Tod in der Marsch

Tod in der Marsch

Titel: Tod in der Marsch
Autoren: Hannes Nygaard
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der
Lehrermangel …«, meinte sie achselzuckend. Aber in wenigen Minuten sei ohnehin
Pause. Wenn die Herren vielleicht etwas warten könnten, die Lehrerin, Frau
Pohl, würde dann ins Lehrerzimmer kommen. Gleich dort hinten, am Ende des
Ganges …
    Schweigsam sahen die beiden aus dem Fenster auf den
leeren Schulhof. Eine gebrauchte Plastiktüte wurde von den Windböen heftig
hin und her getrieben.
    Nach wenigen Minuten läutete die Schulglocke zur
Pause. Die monotone Geräuschkulisse aus den einzelnen Klassenräumen schwoll in
Sekundenbruchteilen zu einem gewaltigen Lärm an. Die Türen wurden aufgerissen,
und eine unendlich erscheinende Masse kleiner schnatternder, lachender, sich
schubsender Menschenkinder füllte die Flure, um dann wie von einer unsichtbaren
Hand geleitet die ins Freie führende Treppe anzusteuern.
    Als die große Flut der Kinder abgeebbt war, erschienen
die Lehrer. In ihrem betont legeren Erscheinungsbild erinnerten sie Christoph
an Studenten auf dem Campus einer Universität.
    Einige nickten in Richtung der beiden Besucher auf dem
Gang, andere schlichen wortlos und desinteressiert an den Dingen, die sie nicht
direkt betrafen, ihrem Ziel Lehrerzimmer entgegen.
    Nachdem die beiden Beamten eine Weile gewartet hatten,
klopfte Christoph an die Tür, öffnete sie einen Spalt und steckte seinen Kopf
hinein. Ein schneller Blick erklärte ihm, weshalb es während seiner Schulzeit
bei Strafe verboten gewesen war, das Lehrerzimmer zu betreten. Aus
pädagogischer Sicht hätte die Begegnung mit der dort herrschenden Unordnung
sicher viele Bemühungen um eine Erziehung zur Ordnung zunichte gemacht.
    Er zog alle Blicke auf sich.
    »Frau Pohl?«, fragte er in den Raum hinein.
    Eine jüngere Frau mit einer dunklen Ponyfrisur sah
auf. »Ja, bitte?«
    »Haben Sie einen Moment Zeit für mich?«
    Sie nahm den angebissenen Apfel, der vor ihrem Platz
auf einem Stück Papier lag, und trat auf den Flur hinaus.
    Christoph stellte sich und Mommsen kurz vor.
Zusätzlich identifizierte sich der junge Kriminalbeamte durch Vorzeigen seines
Dienstausweises.
    »Es geht um Lisa Dahl«, übernahm Mommsen die
Gesprächsführung. »Lisa ist seit einigen Tagen nicht zur Schule erschienen.
Daraufhin haben Sie mit unseren uniformierten Kollegen gesprochen. Leider
können wir aber nichts unternehmen, da das Kind nicht abgängig ist, wie es im
Amtsdeutsch heißt.«
    »Nachdem Lisa unentschuldigt vom Unterricht
ferngeblieben ist, habe ich versucht, die Mutter zu sprechen. Sie müssen
wissen, dass ich die Klasse jetzt im zweiten Jahr habe und so etwas bei dieser
Schülerin noch nie vorgekommen ist. Lisa hat regelmäßig die Schule besucht. Und
wenn sie einmal krank war, so hat die Mutter über eine Klassenkameradin
ausrichten lassen, dass Lisa nicht am Unterricht teilnehmen kann.« Sie biss in
den Apfel.
    »Haben Sie mehrfach versucht, Lisas Eltern
anzusprechen?«, setzte Harm Mommsen nach.
    »Ja«, erwiderte die Lehrerin. »Lisas neue Wohnung
liegt an meinem Heimweg. Außerdem ist es in Husum ja nie weit zu irgendeinem
Platz.« Es klang fast wie eine Entschuldigung, dass sie sich in die
Privatsphäre von Lisas Familie einmischte. »Ich wollte nicht aufdringlich
werden.«
    »Haben Sie es telefonisch versucht?« Mommsen stellte
seine Fragen ruhig und sachlich.
    »Lisas Mutter hat in der neuen Wohnung kein Telefon«,
erklärte die junge Frau.
    »Sie haben jetzt zweimal von der neuen Wohnung
gesprochen«, mischte sich Christoph ein. »Außerdem erwähnen Sie immer nur Lisas
Mutter.«
    Frau Pohl sah ihn an, wendete den Blick dann aber
wieder Mommsen zu. »Ich weiß nicht, ob ich da sachgerecht Auskunft geben kann«,
zögerte sie. »Es ist immer schwierig, mit Halbwissen über die persönlichen
Angelegenheiten anderer Menschen zu sprechen.«
    »Es liegt keine autorisierte Vermisstenanzeige vor«,
sagte Mommsen. »Demnach gibt es auch keine offiziellen Ermittlungen. Wir suchen
nur das informative Gespräch mit Ihnen, nachdem Sie Ihre persönliche Besorgnis
bei der Polizei vorgetragen haben.«
    »Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das richtig
war.« Frau Pohl schwankte. »Aber ich mache mir Sorgen um Lisa. Sie ist vor
kurzem mit ihrer Mutter in eine kleine Wohnung ganz hier in der Nähe gezogen,
in die Woldsenstraße.«
    Mommsen signalisierte unmerklich in Richtung
Christoph, dass ihm die Straße bekannt war.
    »Bis vor kurzem waren die drei, Lisa, ihre Mutter und
der Vater, eine ganz normale Familie. Bis die Mutter mit dem Kind in
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