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Tod in der Marsch

Tod in der Marsch

Titel: Tod in der Marsch
Autoren: Hannes Nygaard
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vernehmlich an seinem Kaffee und schniefte in
einer herablassenden Tonart: »Sie sind ja hier der neue Boss.«Er nickte in
Christophs Richtung. »Aber ich würde einfach einmal neugierig sein. Das
bereitet wenig Mühe, wenn man den Dienst an der Front gewohnt ist.« Er sah
Christoph direkt in die Augen. »Aber vielleicht legen Verwaltungsmenschen ja
andere Maßstäbe an.«
    Christoph erwiderte den Blick. Er hatte sich seinen
Anfang an der Westküste anders vorgestellt. Nach dem merkwürdigen Empfang durch
den Dienststellenleiter hatte er nun auch Probleme, den neuen Kollegen
einzuschätzen.
    Der ungepflegte Oberkommissar machte einen
desillusionierten Eindruck, zermürbt durch langjährige ungedankte Kärrnerarbeit
im Polizeialltag, den Kleinkrieg mit unbedeutenden und größeren
Gesetzesbrechern. Dieser erfahrene Kriminalist schien nicht nur mit dem
richtigen Ohr an Gesprächen teilzunehmen, sondern auch über enge
Dienstauffassung hinweg ganz pragmatische Vorstellungen vom Dienst am Bürger zu
haben.
    Eine offensichtlich zur Schau gestellte Verbitterung
rührte sicher von der steten Auseinandersetzung mit den Prinzipienreitern her,
die ihn im Laufe seiner Dienstzeit auf das formale Gleis zu bringen versucht
hatten.
    Christoph sah Große Jäger an.
    »Ich finde Ihren Vorschlag gut. Ich würde gern mit
Herrn Mommsen die Lehrerin aufsuchen, damit wir uns einen eigenen Eindruck
machen können. Bei dieser Gelegenheit kann ich dann vielleicht auch etwas von
der Stadt kennen lernen.«
    *
    Christoph folgte Mommsen mit hochgeschlagenem
Mantelkragen. Obwohl es immer noch regnete, hatte der junge Kriminalkommissar
angeregt, auf das Auto zu verzichten und den kurzen Weg zu Fuß zurückzulegen.
    »Husum ist die Stadt der kurzen Wege. Hier ist alles
überschaubar«, hatte er erklärt.
    Die Polizeistation lag etwas außerhalb des Stadtkerns
gegenüber dem Bahnhof. Sie gingen mit schnellen Schritten über die »Rote
Pforte«, den ehemaligen ZOB der
Stadt, Richtung Zentrum. Immer wieder zerrte der böige Wind wütend an den
Regenschirmen, sodass der schräg einfallende Regen die beiden Männer schnell
durchnässte.
    Nur wenige Fußgänger waren im kleinen Stadtzentrum
rund um den Marktplatz unterwegs.
    Harm Mommsen gab einige knappe Erläuterungen zu den
auffälligen Baulichkeiten am zentralen Platz der Stadt. Vor der imposanten
Marienkirche stand der Marktbrunnen mit einer von Patina überzogenen Figur.
    »Das ist die Tine«, erklärte Mommsen und setzte ein
Lächeln auf. »Haben Sie eine Idee, was die Frau vorstellt? Das ist eine Frage,
die jeder Fremde beantworten muss.«
    Christoph besah sich die Plastik, eine Frau in
Friesentracht.
    »Ein Mädchen aus Husum?«, mutmaßte er.
    Mommsen ließ ein jungenhaftes Lachen hören und zeigte
auf die Holzpantinen der Figur. »Die Antwort ist ganz einfach. Die Tine stellt
ihren rechten Fuß vor … Aber im Ernst: Es ist eine Fischerfrau.«
    Mehr Worte ließ der Wind aber nicht durch, sodass die
weiteren interessanten Anmerkungen im wahrsten Sinne vom Winde verweht wurden.
    Trotz des unwirtlichen Wetters ließ das liebevoll
restaurierte Ensemble etwas vom verdeckten Charme dieses Ortes ahnen. Die
eindrucksvollen Bürgerhäuser mit ihren Giebelfronten boten eine anheimelnde
Kulisse. Zwischendrin schlossen aber Beton gewordene Sünden die Baulücken
vergangener Jahre. Mit diesen Bauten haben sich ideenlose Architekten
unrühmliche Andenken gesetzt.
    Wenn hässliche Fassaden ein Straftatbestand wären,
schmunzelte Christoph in sich hinein, hätten wir wahrlich sehr viel Arbeit.
    »Das ist das alte Rathaus.« Mommsen zeigte mit
ausgestrecktem Finger auf ein rotes Backsteingebäude. Er führte Christoph durch
einen Torbogen rechts von der Freitreppe in den Schlossgang, eine Fußgängerzone
mit modernen, dem Erscheinungsbild der Altstadt angepassten Wohnhäusern. Am
Ende der kleinen Gasse tauchte halbrechts das Schloss mit seinen hohen Giebeln
und Türmen auf.
    »Im Schlosspark blühen im März, April mehr als vier
Millionen Krokusse und verwandeln die ganze Anlage in ein violettes
Blütenmeer.« Mommsen hatte Gefallen an seiner Rolle als Fremdenführer gefunden.
    Sie bogen nach rechts in die Asmussenstraße ein.
Gleich hinter dem Schloss lag die Bürgerschule. In den gefliesten Gängen hing
vor den Klassenräumen dicht an dicht die winterliche Bekleidung der Schüler.
    Im Schulsekretariat bedauerte die Mitarbeiterin, dass
die Frau Rektorin leider auch unterrichten müsse. »Sie wissen ja,
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