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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau
Autoren: Michal Hvorecky
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poröses Gestein in den Hügeln, um dann plötzlich in Immendingen im Untergrund zu verschwinden und erst zwölf Kilometer weiter entfernt wieder aufzutauchen.
    In seinem Traum goss Martin Unmengen von Beton in die Quelle und drängte das Wasser in sein unterirdisches Becken zurück. Doch die Donau gab nicht auf, immer wieder durchstieß sie die Ummantelung. Er schüttete noch mehr Beton nach. Doch das Wasser fand immer wieder einen Fluchtweg, es blubberte in wiederkehrenden Geysiren auf, warf Steine hoch und zog Furchen und Gräben, bis es ihn selbst wegschwemmte. Er wälzte sich im Bett herum, verbarg sich unter der Decke und erwachte.
    Entschlossen öffnete er die Augen, stand auf und beeilte sich. Eineschnelle Dusche, anziehen und ohne Frühstück zum Taxi. Er holte die Passagiere am Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München ab. In der Ankunftshalle sperrte er das angemietete Sicherheitsfach der Firma auf. Er zog ein paar Plakate aus festem Karton und einige Holzplatten hervor und baute sich an dem ihm zugewiesenen Platz ein kleines Empfangspult mit dem Logo des Reiseveranstalters American Danube Cruises auf, der lokalen Tochter der »American Global Cruises«. Auf den Bildern waren digital verjüngte Pensionisten zu sehen, und die Donau floss majestätisch durch Budapest, das voller glücklicher alter Menschen war. Die Gesichter auf den Plakaten wirkten ungefähr so natürlich und ungarisch wie ein Bison inmitten des Café Gerbeaud.
    Von der Firma ADC war hier so manches bekannt, Gutes und recht Schlimmes. Fest stand, dass sie auf der Donau neun Schiffe besaß und während des gesamten Flussverlaufs die Luxusklasse dominierte. Die Muttergesellschaft operierte auf fünf Kontinenten, ihre Zielgruppe waren Pensionisten, und sie beförderte jährlich mehr als zweihunderttausend Passagiere. Sie gehörte einer bekannten Kaufmannsdynastie aus Chicago, der Familie O’Connor, und war zu einer globalen Aktiengesellschaft angewachsen, sie erwirtschaftete aus den Flüssen ein niemals versiegendes Meer an Geld. Die Verwaltung füllte einen ganzen Wolkenkratzer, doch lehnte die Führung alljährlich kategorisch ab, auch nur eine zusätzliche Arbeitskraft aufs Schiff zu holen. Die Familie O’Connor kannten in Europa alle Mitarbeiter von Schifffahrtsbetrieben und natürlich auch alle Kapitäne, doch noch weitaus massiver war die Firma in China, Australien, Ägypten und in den USA präsent.
    Anfang August, um sieben Uhr morgens, lag noch ein ziemlich langer Arbeitstag vor Martin Roy. Zum Gästeempfang trug er eine helle Leinenhose und ein dezentes, kurzärmliges Hemd. Das Namensschild, versehen mit dem Logo des ADC, alles golden umrahmt, konnte er nicht ausstehen, doch es war Pflicht, dieses anzustecken. Die Firmenvorschriften legten ganz genau fest, welche Kleidung inwelcher Arbeitssituation zu tragen war, die jeweiligen Stücke mussten sich die Mitarbeiter allerdings selbst besorgen.
    Um Kosten zu sparen, orderte die Firma die billigsten Flugtickets, und so kam es regelmäßig zu Verspätungen und Gepäckstückverlusten. Die Touristen stammten zumeist aus den USA. Manche von ihnen mussten bei ihrer Anreise drei bis viermal umsteigen.
     
    Am Flughafen war es laut. In der Nacht waren plötzlich die Rechner ausgefallen, was die Arbeit des Towers wesentlich verlangsamte, das verursachte Verspätungen bei vielen nachfolgenden Verbindungen. Sogar jene Reisenden, die unter normalen Umständen nicht zu nervösen Reaktionen neigten, verloren allmählich ihre Fassung. Sie fächerten sich mit Tickets und Zeitungen etwas Luft zu. Martin versuchte zu lesen, um die Zeit irgendwie zu nützen, doch er konnte sich in dem Chaos schlecht konzentrieren. Zudem musste er die automatische Tür im Auge behalten, ob nicht irgendwo hinten bei der Gepäckausgabe schon seine Leute zu erkennen waren. Regelmäßig sah er auf die digitale Anzeigetafel. Ihr zu Folge sollten diejenigen, die am Flughafen Heathrow in London umgestiegen waren, jeden Augenblick eintreffen.
    Den ersten Tag mit neuen Reisenden erachtete er als einen »Schlüsselmoment«. Martin wurde an einem solchen Morgen als sein eigener Zwilling wiedergeboren. Diesen »schauspielerischen Kunstgriff«, hatte er in den letzten drei Jahren – mit Hilfe der Firma – nahezu perfektioniert.
    Das Ganze begann damit, dass er sein kommerzielles Lächeln aufsetzte. Danach veränderte sich seine Stimmlage, der nervöse Gesichtsausdruck wich vollkommener Gelassenheit, selbst seine fahrigen Gesten
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