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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau
Autoren: Michal Hvorecky
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verschwanden, alles wurde von Klarheit und Genauigkeit überschrieben, er hatte das in diversen Kursen erlernt. Er wurde zu einem anderen Menschen, liebte nunmehr Sport und Melodic Rock. Und er schwärmte in breitem Amerikanisch von seiner fiktiven Verlobten und seinen Eltern. Er verwendete plötzlich nur noch dieMaßeinheiten Fuß und Meile, das Erdöl wurde in Barrel bemessen, das Gewicht in Pfund und die Temperatur in Fahrenheit.
    In den großen Schiebetüren tauchten die ersten Touristen auf. Er hätte sie sofort erkannt, auch wenn sie nicht – wie man es ihnen bereits zu Hause empfohlen hatte – Namenskärtchen mit dem Logo des Reiseveranstalters um den Hals getragen hätten. Die Pensionisten in Zweierreihen konnten ihre amerikanische Herkunft nicht verbergen, manche bemühten sich darum, europäischer zu wirken oder zumindest so, wie sie sich »Europäertum« vorstellten. Die Greise und Greisinnen hielten sich verkrampft an den bis obenhin mit Gepäckstücken beladenen Wägelchen fest.
    Das erste Männlein, das bei Martin vorstellig wurde, ein New Yorker namens Erwin Goldstucker, hatte ein zerfurchtes Gesicht und am Kopf einige verbliebene Haarbüschel. Er war so gealtert, dass er beinahe verschwunden wäre, doch irgendetwas ließ ihn weiterhin existieren. Beim Gehen stützte er sich auf einem weißen Blindenstock ab.
    »Guten Tag! Ich darf Sie im Namen des Reiseveranstalters American Danube Cruises sehr herzlich in Ihrem Urlaub willkommen heißen, der, davon bin ich überzeugt, der schönste Ihres Lebens sein wird. Mein Namen ist Martin Roy, und ich bin für Ihre Reiseorganisation verantwortlich. Wir danken Ihnen, dass sie sich für uns als Reiseveranstalter entschieden haben. Ich bitte Sie auch gleich um etwas Geduld, bis genug Leute beisammen sind, um im Autobus Platz zu nehmen, Ihre ganze Gruppe wird dann unverzüglich an Bord gebracht!«
    Ein weiterer Mann, Jeffrey Rose, kam aus Michigan, und abgesehen von einem Kranz aus festem, mausgrauem Haar war er in der Mitte seines Schädels völlig kahl. Seine Augen tränten, und sein Gesicht hatte im Flughafenlicht die Schattierung eines Leichnams angenommen. Die lethargischen Bewegungen ließen jedwede Kraft vermissen.
    »Sind wir schon in Europa?«, wollte Jeffrey wissen.
    »Ganz genau, Mister Rose, Sie sind in München, in Bayern gelandet«, antwortete Martin.
    »Gott sei Dank«, entgegnete Jeffrey. »Und nenn mich Jeff. So wie bei den anonymen Alkoholikern.«
    »Klar, Jeff.«
    Jeffs Ehefrau Ashley musste einst eine Schönheit gewesen sein, doch heute war sie verschrumpelt und voller Falten.
    »Darf ich was fragen, wird auf diesem Schiff getrunken?«, fragte Ashley.
    »Meinen Sie Alkohol? Ja, der wird serviert«, antwortete Martin.
    »Das dachte ich mir schon. Wir werden auf unsere Männer achtgeben müssen.«
    »Wir werden Ihnen gern dabei helfen. Mit Alkoholikern haben wir an Bord reichlich Erfahrung«, flüsterte er zurück.
     
    Martin wiederholte seine Begrüßungsformel, und weitere Touristen stürmten ihm entgegen. Diese anstrengende und ermüdende Arbeit erwartete ihn den ganzen Tag. Die Passagiere kamen todmüde an, sie waren hungrig, durstig, sie mussten dringend auf Toiletten, Medikamente einnehmen … Vor allem jedoch hatten sie panische Angst vor fast allem: dem Wetter, dem Euro, Taschendieben, den Unannehmlichkeiten der Zeitverschiebung …
    Im Alter lässt alles langsam nach. Die Haut bekennt sich zu ihren Unregelmäßigkeiten, die Knorpel verlieren an Kraft, und die Knochen reiben gefährlich aneinander. Zudem waren diese Menschen gern auf längeren Urlauben, viele Jahre lang, Aufenthalte auf Schiffen, Autobusfahrten, Stadtbesichtigungen und längere Märsche, all das hätte selbst bei Jüngeren Spuren hinterlassen. Als ob der nahende Tod die Amerikaner dazu verleiten würde, sich in Mitteleuropa all das anzuschauen, was sie bislang noch nicht gesehen hatten. Auf dem Schiff hatten sich 120 einquartiert, wobei ein jeder von ihnen für die zweiundzwanzigtägige Reise von Regensburg bis zum Donaudelta in Rumänien mehr als 8000 Dollar zu berappen hatte.
    Wer sich danach sehnt, europäische Flüsse in der Luxusklasse zu bereisen, benötigt eine Menge Geld und erwartet dafür auch entsprechende Dienstleistungen. Diese Menschen haben schon alles auf ihren Urlauben erlebt: Strände auf künstlichen Inseln im Stillen Ozean, Schlafstätten in Hotelanlagen am Meeresgrund oder Skiabenteuer auf verborgenen Pisten inmitten der arabischen Wüste. Die
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