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Tod auf der Donau

Titel: Tod auf der Donau
Autoren: Michal Hvorecky
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Ganz klar, dass er dies nicht wahrheitsgemäß beantworten durfte.
    »Jawohl, sehr«, sagte er.
    Die ersten zwei eigenständigen Worte, die er in seiner neuen Berufung von sich gab. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nur genickt und wiederholt, was ihm aufgetragen wurde.
    »Dann erlaube mir, dich hiermit feierlich zum Direktor zu ernennen. Ich wünsche dir in deiner neuen Funktion viel Erfolg, zum Wohle der gesamten Firma American Danube Cruises!«, rief der Teamleiter.
    Martin stierte ihn ungläubig an und bekam ein Dokument mit vielen goldenen Lettern überreicht. In diesem Moment war aus ihm ganz offiziell ein Cruise Director geworden, ein Schiffsleiter. Er bildete sich darauf nicht sonderlich viel ein, denn er erfuhr schon bald, dass es zahlreiche Titulierungen und Auszeichnungen bei untergeordneten Posten gab, damit ging man durchaus inflationär um. Die Direktoren waren bei der ADC so zahlreich wie das Unkraut am Zaun. In der Firma hieß sogar ein Zimmermädchen »Chairwoman of Housekeeping«, ein Matrose wiederum »Chief Nautical Officer« und der allerletzte Maschinist »General Engineer Commander«.
    Auf der Abschlussparty floss der Whisky in Strömen, alles auf Kosten von Chicago. Martin lernte seine Kollegen kennen: die drei Offiziere, die Rezeptionistin, die Köche, Matrosen und das Reinigungspersonal. Die Besatzung der
MS America
flanierte vor seinen Augen auf und ab. Er hielt sich mit dem Alkohol zurück, doch die anderen verhielten sich ganz anders, sie taumelten heiter und trunken herum – oder spielten sie das nur? Irgendwas schien nicht zu stimmen.
    Abgesehen davon irritierte ihn ein kleiner Altar, der sich an der Wand befand – dem jüngsten O’Connor war dieser gewidmet, dem Erben der ADC. Am Mittwoch hatte sich der junge Mann sogar mittels Videoübertragung aus Chicago zugeschaltet, im Rahmen einer Marketingschulung. Seine Ansprache lobte alle in höchsten Tönen, doch Martin stach vielmehr der Maßanzug ins Auge. Einen noch viel größeren Wert musste jedoch das breite goldene Armband haben, das Martin an dem Mann erkennen konnte, er trug es an seinem linken Handgelenk. Nach jeder dummen Bemerkung des Eigentümers waren im Raum ein beipflichtendes Raunen und Applaus zu vernehmen. Selbst auf dem Gang, wo die Angestellten an seinem Foto vorbeigingen,schienen alle noch von ihm eingenommen zu sein. Irgendwer erwähnte, dass er O’Connor letztes Jahr in Brasilien die Hand reichen durfte, und alle anderen gratulierten ihm daraufhin.
    Kurz vor Mitternacht wurde Martin Roy schließlich dem Kapitän vorgestellt – dieser hieß Atanasiu Prunea.
    »Was würde denn passieren, wenn das alles wirklich passiert?«, wollte er wissen.
    »Ich verstehe nicht. Was meinst du?«, antwortete der Kapitän mit schwerer Zunge.
    Martin war noch nie einem seltsameren Menschen begegnet. Vom ersten Tag an hatte er das Gefühl, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmte. Kein Besatzungsmitglied vermochte es, eine solch vollkommene Illusion von langen und erfolgreichen Schiffsreisen zu erwecken wie Atanasiu. Er arbeitete schon seit fünfundzwanzig Jahren auf Schiffen, sowohl im Mittelmeer als auch auf allen Ozeanen. Er erweckte den Eindruck eines melancholischen Riesen, um seine Augen zogen sich viele Fältchen, und die Wangen waren von Wind und Sonne, von allen geographischen Breiten und der unerbittlichen Zeit gezeichnet. Er verfügte über keinerlei Bildung, auch über keine außerordentliche Intelligenz – wie hatte er diese Position dann erlangen können? Vielleicht lag es an seiner Geduld und seiner Gesundheit. Er hatte zwei Jahre lang, ohne auch nur einmal Urlaub oder Krankenstand zu nehmen, seinen Dienst versehen. Eine solche Einstellung schätzte die ADC natürlich. Die Firmenvorschriften hielt er penibelst ein, als wären sie die einer Sekte. Was seine Dienstauffassung anlangte, so konnte sich keiner mit ihm messen. Er hatte als Matrose begonnen und sich bis zum allerhöchsten Rang gedient. Mit dieser Verbissenheit gelangte er im Laufe seines Lebens von kleinerem zu immer größerem Reichtum.
    »Irgendein Unglück … Feuer … Wasser … was weiß ich – all das, was wir trainiert haben«, erklärte Martin.
    Kaum hatte er dies ausgesprochen, musterte ihn der Kapitän misstrauisch.
    »Jetzt pass mal auf, daran solltest du gar nicht denken und schon gar nicht an einem solchen Ort. Menschen sind vertrauensselig auf Schiffen, und über manche Dinge spricht man einfach nicht … Das solltest du gleich mal
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