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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Cinecittas würde fortan auf seinem Gewissen lasten.
    Dreckiger Staub stieg einer Nebelwand gleich von den Erdmassen auf. Und aus dem Nebel trat ein Wolf, groß gewachsen, mit schmutziggrauem Fell und einer braunen Schnauze. In seinen Augen stand nur Bosheit. Langsam kam er näher, verfiel dann in einen Trab, der zu einem Rennen wurde. Er senkte den Kopf.
    Niccolò drehte sich um.
    Von hinten kamen zwei weitere Wölfe auf ihn zu. Sie glichen dem ersten aufs Haar. Auch ihr Blick. Je länger erwartete, schoss es Niccolò durch den Kopf, desto kleiner wurde der Korridor, durch den er fliehen konnte. Mit jedem Schritt kesselten die Wölfe ihn weiter ein. Sie waren schnelle, flinke Jäger.
    Es gab nur eine Lösung. Er musste rennen.
    Jetzt!
    Und Niccolò rannte los.
    Die Kralle schoss in wilder Hatz hinter ihm her, den Blutdurst pulsierend in ihren Leibern. Rimella verschwand so schnell hinter ihnen wie eine über die Theaterbühne gezogene Kulisse. Quer über Felder, durch die Rebgänge der Weingärten und über Straßen jagten sie einander nach. Die Wölfe waren schnell und hatten über die Jahre eine Ausdauer erlangt, die sie lange Jagden lieben ließ. Die Beute hetzen, bis sie umfiel, das Ende auskosten, so schmeckte sie am süßesten.
    Doch der Abstand zu ihrer Beute wurde immer größer. Die Kralle wusste es nicht, doch Niccolò war ein Italienisches Windspiel.
    Und niemand, wirklich niemand, rannte schneller als er.

 
    Kapitel 2
     
     
    ALBA
     
     
    S eine Nase erwachte zuerst. Noch halb im Schlaf sog Giacomo die von der Mittagssonne erhitzten Ausdünstungen der Stadt in seine großen Nüstern. Er war von der uralten Rasse der Lagotto Romagnolo , die seit Jahrhunderten wegen ihres Geruchssinns im Piemont zur Trüffelsuche eingesetzt wurden. Doch von dieser ruhmreichen Vergangenheit war an ihm wenig zu erkennen. Sein gekräuseltes, leicht öliges Fell, das es allen Vertretern seiner Rasse ermöglichte, selbst im kältesten Eiswasser unversehrt zu bleiben, war schmutzig-weiß. Der Dreck der Straßen Albas hatte sich in vielen seiner Locken verfangen. Er trug die Stadt auf diese Weise überall mit sich hin. Nur Giacomos Nase war vom Verfall nicht betroffen, sie machte der Historie der Lagotto Romagnolo weiterhin alle Ehre.
    Zuerst nahm er die tiefsten Aromen der Stadt wahr, die sich so in das alte Mauerwerk Albas eingeprägt hatten, dass kein Regen, kein Schnee und kein Sturm sie hinforttragen konnten. Es waren der leicht säuerliche Geruch von zu lange geöffnetem Wein, der von süßer Torrone und von reifen, weißen Trüffeln. Er lag wie ein erotisierendes Parfum über der Stadt und ließ die Röcke der jungen Mädchen für die Augen der Männer noch kürzer aussehen, die Schenkel der Frauen noch strammer. Für Giacomo war dies das olfaktorische Grundrauschen, es legte die Farben des Bildes fest, das er mit seiner Nase einsog. Es gab ihm die Sicherheit, zu Hause zu sein. Faszinierender waren jedoch die Gerüche derSpeisen, der Salamis wie der in Barberawein getränkten Muletta oder der aus Eselfleisch hergestellten Salame d’asino, der Duft vom Ziegenmilchkäse Formaggetta und natürlich das unnachahmliche Aroma frischer Pasta. Eng damit verwoben waren die Aromen der Menschen, die mit prallgefüllten Einkaufstaschen vorübergingen. Doch bislang ließ kein Duft Giacomo aus seinen Träumen aufschrecken, keiner versprach umgehenden Genuss. Die Vorderläufe weit von sich gestreckt lag er hinter der gesplitterten Holztür mit der schiefhängenden Nummer drei in der Vicolo dell’Arco, einer kleinen Gasse, die von der Piazza Risorgimento mit seiner prachtvollen Cattedrale di San Lorenzo abging und von den meisten Touristen, die tagtäglich verlässlich wie Gezeiten morgens und nach dem Mittag in die Stadt geschwemmt wurden, übersehen wurde.
    Durch den Spalt am unteren Ende der Holztür drang warme Luft wie ein Fön ins Innere des schon lange verlassenen Hauses, in dem Giacomos Nase nicht nur die Vicolo dell’ Arco erfasste und die gesamte Piazza Risorgimento, sondern auch die Haupteinkaufsstraße Albas, die Via Vittorio Emanuele II. Es war nicht nur ein Bild der Gegenwart, das die gewaltigen Nüstern in Giacomos Kopf entstehen ließen, es zeigte ihm auch die Vergangenheit. Er konnte erkennen, welcher Zweibeiner welchen Weg gegangen war, welche Autos frische Waren gebracht hatten und sogar, wo jemand länger verharrt, seinen Duft intensiver in der Luft verteilt hatte. Es war eine Welt der Schlieren, eine Welt des
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