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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Jetzt und des Damals, die Giacomo auch viel über die Zukunft sagte, denn die meisten der Schlieren kannte er schon lange und gut.
    Und es war eine Welt, die kein anderer Hund der Stadt mit solcher Präzision erschnüffeln konnte.
    Plötzlich erschien einer der schönsten Düfte. Giacomo öffnete die Augen.
    Der hektische Mann mit den teuren Ledersohlen und der alten Aktentasche kam aus dem Gebäude der vielen Anzugträger. In der Tasche konnte Giacomo die beiden Dreiecke eines Tramezzino doppio erschnuppern, belegt mit Ei, Thunfisch, Schinken und Pilzsalat. Genau wie immer.
    Es leuchtete geradezu durch das mürbe Leder. Giacomo wusste, dass ein Teil davon für ihn bestimmt war. Die Schritte des Mannes würden sich nun wie immer seiner Gasse nähern. Der Mann war verlässlich wie kein Zweiter, und er hatte immer ein Streicheln für ihn übrig, auch wenn Giacomo das eigentlich nicht leiden konnte. Der alte Trüffelhund stemmte sich auf. Es fiel seinen Muskeln mittlerweile schwer, den Körper aufzurichten und ihn zu bewegen. Sie taten es nur noch für Nahrung oder eine ruhige Schlafstätte. Giacomo drückte sich unter dem Spalt ins Freie und baute sich vor der Tür auf. Er wandte keinen der üblichen Tricks an, riss die Augen nicht weit auf, ließ nicht die Zunge heraushängen, senkte nicht geschwächt den Kopf. Und vor allem wedelte er nicht freudig.
    Der Mensch kam näher.
    Sein Weg führte an der Cattedrale di San Lorenzo vorbei. Eine Menschenmenge stand davor, drängte hinein. Um diese Tageszeit sollte eigentlich keine Messe sein, dachte Giacomo, der Menschenansammlungen stets mied. Ein junger, wuscheliger Bobtail lag vor der Kirche, die Leine noch um den Hals, und schien das Tramezzino ebenfalls zu wittern. Tapsigen Schrittes und mit hängender Zunge kam er auf Giacomos Tramezzino-Mann zu. Wedelte und bellte. Dann riss er die Augen freudig auf.
    Der Mann öffnete seine Aktentasche.
    Der Duft des Tramezzino wurde intensiver, stach nun wie ein Neonleuchten in der Welt der Gerüche Albas hervor. Giacomos Beine bewegten sich wie von selbst darauf zu.Doch kamen sie schnell zu einem Halt. Denn das Tramezzino verschwand in Gänze im Hals des jungen Bobtails.
    Giacomo würde nichts mehr davon abbekommen.
    Und schuld daran war nur die Kirche, und was auch immer darin stattfand.
    Wenn er schon sein wohlverdientes Mahl verlor, wollte er wenigstens wissen warum.
    Und so ging er zur betenden Bracke.
     
    Niccolò wich nur aus, egal was oder wem. Und wenn die Bäume und Autos, die Häuser und Zäune, die Rebstöcke und Büsche es zuließen, rannte er geradeaus. Einfach weg. Kein Blick zurück. Sein Herz pumpte so laut durch den kleinen, schlanken Körper, dass er nicht hörte, ob er seine Verfolger abgeschüttelt hatte oder die drei Wölfe immer noch hinter ihm herjagten. Umdrehen konnte Niccolò sich bei diesem Tempo nicht, und er wollte nicht anhalten, auf keinen Fall anhalten, bloß rennen, weg und immer weiter weg. In seinem Kopf war nur Platz für das Setzen seiner Füße und das nächste Hindernis, dem es auszuweichen galt.
    Bis er stolperte und fiel, einen Weinberg hinunterstürzte und schmerzvoll mit Bauch und Vorderläufen an einem Barolo-Rebstock hängenblieb.
    Er hatte keine Kraft mehr in seinen Augen, um zu fokussieren und Herannahendes zu erkennen, keine Kraft in seinen Beinen, um im Fluchtreflex den Hang hinunterzulaufen. Niccolò konnte nur liegenbleiben und atmen. So verharrte er über Stunden am Hang, und als sein Körper nicht mehr schmerzte, schlief er ein, wachte erst wieder auf, als es bereits Nacht war.
    Als er sich mühsam auf die Beine stellte und den Weinberg hochstieg, kam dunkler als ein Wolf die Erkenntnis über ihn, dass er im Nirgendwo war und nicht mehr wusste, wo Rimella lag. Kein Hügel glich einem seiner Hügel, keinDuft der Heimat lag in der Luft. Zwar wuchsen auch hier Haselnusssträucher und Pappeln, Rebstöcke bedeckten wie daheim die Hügel, doch sie waren falsch. Die Landschaft hatte so nicht zu sein. Wie ein Albtraum hatte sich die Welt gewandelt. Der steinige Boden schlitterte unter seinen Pfoten, als Niccolò sich der Straße näherte und immer stärker den Urin anderer Hunde riechen konnte, die ihr Revier markiert hatten. Dies war ihr Reich und er ein Eindringling. Doch er musste hoch zur Straße, denn Straßen führten zu Menschen, und Menschen hatten Essen, Menschen würden ihm helfen.
    Die Nacht war klar, und die Sterne stachen wie Nadelspitzen aus dem dunklen Samt des Himmels. Der
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