Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel
Autoren: Carsten Sebastian Henn
Vom Netzwerk:
Säure.
    »Was stehst du nur so zitternd da?«, hörte er Cinecitta hinter sich zischen. »Bringt der flinke Niccolò nicht dasselbe zustande wie eine zierliche Hündin?«
    Das Fell des alten Freundes war zerfetzt. Die Stücke lagen über einem viel zu kleinen Bauch, Blut hatte das Gras und die wilden Kräuter darunter dunkel gefärbt. Doch es sah nicht aus, als hätte ein anderes Tier Sylvio gerissen, Spuren von Zähnen fehlten, und eine so unregelmäßige Öffnung eines Bauches hatte er noch nie gesehen.
    Es passte einfach nichts zusammen.
    Denn in und um Rimella gab es niemanden, der Sylvio hätte bezwingen können. Er war gutmütig gewesen, ja, kaum aus der Ruhe zu bringen, aber wenn wirkliche Gefahr bestand und er wütend wurde, war gegen sein schieres Gewicht, seine Wucht kein Kraut gewachsen gewesen. Ein von einem privaten Züchter in Fossano entlaufener Vielfraß hatte diese Erfahrung machen müssen, als er hungrig im Winter umherirrend den schlafenden Sylvio für einen jungen Luchs gehalten und angeknabbert hatte. Sylvio hatte zurückgeknabbert. Und mehr.
    »Er ist aufgeplatzt«, sagte Cinecitta. »Ich habe seine Gedärmeüberall verstreut gefunden.« Niccolò blickte sich um, doch sah er nur frische Erdhügel, ordentlich gescharrt.
    »Nun bist du an der Reihe, Niccolò«, sagte Cinecitta. »Es ist kein anderer mehr da. Jetzt ist Rimella dein Dorf.«
    Niccolò hörte gar nicht zu, er wich vom Leichnam zurück, erschrocken über sich selbst. Denn egal, wie sehr ihn der Gedanke schockierte, dass Sylvio gestorben war, wie sehr der Geruch des alten Mentors in der Luft lag, das da vor ihm war Fleisch, frisches totes Fleisch, und er hatte schon länger nichts gegessen.
    »Kein Hund platzt einfach so«, sagte Niccolò, den Blick von Sylvios Leichnam abwendend und die Nase schnell in den frischen Nordwind haltend.
    Cinecitta machte sich auf zu gehen. »Wir müssen die anderen suchen.« Sie schlug den Weg Richtung Hauptstraße ein. Menschen benutzten Straßen, dachte die Hündin. Und andere Menschen würden wissen, wo ihre Menschen waren.
    Plötzlich grummelte der Bauch des Berges.
    Es klang dumpf und schwer, als hätte er Verdorbenes zu sich genommen, und viel davon. Es wurde lauter, glich nun mehr einem dunklen Schrei, fand Niccolò, wie von einem Tier, das tief unter der Erde lebte, das noch nie die Sonne gesehen hatte. Die Haut des Berges begann zu zittern, dann krachte sie und zersprang.
    Niccolò und Cinecitta standen wie verwurzelt auf der wilden Wiese.
    Der Berg kam näher.
     
    Dass er seine Pfoten vorsichtig zu setzen hatte, wusste Aurelius, als er in die Höhle seines Bruders trat. Sonst drohte Verletzung. Knochen, einige alt und verblichen, andere frisch und scharf, mit verrottenden Fleischresten, lagen verstreut auf dem steinigen Boden.
    So liebte es sein Bruder.
    Trübes Licht drang durch einen Spalt weit oben in der Höhle und fiel wie ein träger Wasserfall auf den Vorsprung, der Grarrs Platz in dieser Welt war. Der Rest der Höhle erhielt nur den Abglanz seines Lichtes, nicht mehr als Reflexionen in der Dunkelheit. Aurelius schob mit der Pfote einen Beinknochen beiseite, setzte sich und wartete. Denn sein Bruder putzte sich sorgfältig das Fell zwischen den Hinterflanken. Es war Bewunderung in Aurelius’ Blick, als er seinen Bruder sah, trotz der Wut über Laetitia, und obwohl Grarr sich ihm gegenüber nicht immer brüderlich verhalten hatte. Doch was zählte, war nur das Rudel. Und diesem stand Grarr vor, auch wenn viele versucht hatten, ihm seine Position streitig zu machen. Sie alle hatten den schlohweißen Wolf mit den roten Augen unterschätzt, der von seiner Statur her eher klein gewachsen war. Auch die Kralle hatte vor drei Jahren versucht, ihn zu stürzen, zu dritt. Sie hatte ihm aufgelauert, als er des Nachts seine Höhle verlassen hatte, um dem Vollmond zu huldigen, wie es seine Pflicht war. Einer der drei war von vorne gekommen, die beiden anderen von den Seiten.
    Alle anderen Wölfe waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Hügel versammelt.
    Grarr war allein gewesen.
    Er hatte keine Chance gehabt.
    Drei spitze Schreie, kurz nacheinander, waren zu hören gewesen, und schließlich war nur Grarr aus dem Wald getreten, kein Tropfen Blut auf seinem weißen Fell, keine Wunde an seinem Körper. Die Kralle wurde danach zwei Monate lang nicht mehr gesehen. Dann kam sie zurück und rollte sich vor Grarr auf den Rücken, die Hinterbeine gespreizt, und er hatte sie huldvoll an Fell und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher