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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus
Autoren: Petra Oelker
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gefallen, hätte das Pulver entzündet, und wir alle hätten sein Schicksal geteilt.»
    «Aber die farbigen Lichter? Und wie konnte diese schwarze Gestalt immer größer und größer werden?»
    «Sei nicht so neugierig, Claes», sagte Augusta. «Du gibst deine Geschäftsgeheimnisse auch nicht preis. Aber wieso wart ihr alle zur rechten Zeit da? Es war nach Mitternacht, kalt und nass.»
    «Wir saßen im Stall, lasen Behrmanns Brief und überlegten, was als Nächstes zu tun sei.» Helena drehte das Glas in den Händen und betrachtete die eingeschliffenen Muster. «Ihr habt nie gefragt, woher wir ihn hatten. Ich will es Euch nun verraten. Wir haben von dem Brief erfahren und beschlossen, ihn zu stehlen. Es ist nicht unsere Art, zu stehlen und in fremde Häuser einzusteigen, auch wenn das viele glauben. Aber in jener Nacht ist Sebastian durch das Fenster in Behrmanns Wohnung geklettert und hat den Brief in einer Schublade gefunden.»
    Claes starrte sie fassungslos an.
    «Durch das Fenster? Es ist fast unter dem Dach. Drei oder vier Etagen hoch über dem Fleet.»
    «Sebastian ist ein guter Akrobat.»
    Es gab noch viele Fragen an diesem Abend zu beantworten, und Jean, gewöhnt, immer im Mittelpunkt zu stehen und das Wort zu führen, trug schwer daran, diesmal ganz unwichtig zu sein.
    Schließlich hob Augusta die Tafel auf, und die Gesellschaft begab sich in den Nebenraum, in dem der Kaffee schon wartete. Augusta übergab Sophie die Pflichten der Hausfrau, griff nach Reichenbachs Arm und zog ihn, irgend etwas von neuen Büchern in ihrem Salon murmelnd, mit sich hinaus.
    Sophie servierte den Kaffee, und das Kind wurde von Telemann ans Spinett gesetzt und spielte, wie es niemand in diesem Haus je gehört hatte.
    «Ganze neun Jahre alt und besser, als ich es je war. Und was er spielt, hat er selbst komponiert. Es ist ein Wunder. Er spielt jetzt schon vor Fürsten und Königen, der kleine himmlische Teufelsbraten.»
    Telemann strahlte, ganz frei von Künstlerneid und glücklich über dieses Geschenk, das er mitgebracht hatte.
    «Bravo!», rief Augusta, die in der Tür zum Speisezimmer stand. «Bravo. Komm her, mein Kind.»
    Gehorsam rutschte der Junge von der Bank und lief zu ihr. Sie beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er nickte und kletterte wieder auf die Bank vor dem Spinett. Einen Moment lang sah er still auf die Tasten, als lausche er einer fernen Melodie, dann erklangen die ersten Töne. Ein Lied von Johann Bach, der vor Jahren Musikdirektor und Kantor in Leipzig gewesen war. Claes hatte ihn einmal während der Messe im Zimmermann’schen Kaffeehaus am Brühl mit seinem Collegium musicum gehört. Sein zweitältester Sohn, Carl Philipp Emanuel, war Telemanns Patensohn. Der Hofcembalist des preußischen Königs würde, wenn es nach den Wünschen des alten Musikdirektors ging, sein Nachfolger in Hamburg werden.
    «Willst du dein Herz mir schenken, so fang es heimlich an, dass unser beider Denken niemand erraten kann …»
    Eine klare Sopranstimme sang schmelzend die Liebesworte zu der zierlichen Musik des Kindes. Claes konnte die Sängerin nicht sehen, sie verbarg sich noch im Speisezimmer. Er begegnete Annes Blick, und diesmal hielt er ihn fest.
    «Die Liebe muss bei beiden allzeit verschwiegen sein …»
    Sie erwiderte sein Lächeln, und er wusste, dass seine Frage beantwortet war. Aber verschwiegen sollte seine Liebe nun nicht mehr sein. Nie mehr.
    Die Stimme der Sängerin kam näher, und mit dem letzten Ton trat sie in den Raum.
    Sie verbeugte sich tief vor dem jubelnden Applaus, und als sie sich erhob, glaubte Claes sich wieder in eines von Rudolfs Trugbilder versetzt. In der Tür stand, an Augustas Arm und in Sophies schlüsselblumengelbem Kleid, der kleine reisende Sachse Friedrich Reichenbach. Augusta lachte hell auf.
    «Fasst euch, meine Lieben. Oh, ihr Männer, dass ihr nie etwas merkt. Wie oft habt ihr mit ihm Billard gespielt, gestritten und Kaffee getrunken und habt doch nicht gesehen, dass dieser kleine Sachse eine sächsische Komödiantin ist, eine Spionin auf der Suche nach einem Mörder. Nicht Friedrich, sondern Rosina.»
    Der Abend wurde noch lang. Es wurde noch viel geredet, musiziert und gelacht. Und natürlich gesungen und rezitiert, endlich konnte auch Jean in der ersten Reihe stehen und den Applaus genießen. Claes ertappte sich dabei, dass er diese kleinen Schäferlieder eigentlich doch ganz amüsant fand, und beobachtete zufrieden, wie Martin verstohlen Sophies Hand
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