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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Baby erwartet.«
    Â»In Ordnung. Wir haben Platz für vier Leute. Wir bringen euch nach Sendai und holen dann die anderen.«
    Wir sahen den Helikopter jetzt ganz deutlich. Er schwebte heran, wie ein Rieseninsekt. Alle, auch Onkel Matsuo, starrten jetzt in den Himmel, den das pulsierende Brummen des Hubschraubers erfüllte. Der Helikopter kam näher, der Boden begann zu vibrieren, und alle Katzen, die sich in der Umgebung des kleinen Schreins aufhielten, stoben davon. Die
Bäume bogen sich wie unter einen Sturm, der durch den Wald fegte, als der Helikopter sich senkte, seine blitzende Unterseite zeigte. Die Frauen und Männer standen alle mit erhobenem Gesicht, während der Wind der Rotoren an ihren Haaren, an ihren Kleidern zerrte. In der Nähe gab es eine Lichtung, die Isao, obwohl er nicht landen konnte, bereits als Ziel erspäht hatte. Er ging so tief herunter, wie er konnte. Die Tür des Hubschraubers öffnete sich, eine Gestalt in der Uniform der Rettungsmannschaften erschien, gab Zeichen, dass wir zurücktreten sollten. Kisten, Harasse, Rettungsgeschirr fielen herunter. Matsuo und ich hatten inzwischen Hatsue hochgehoben, sie in ihrer Windjacke eingepackt. Wir liefen durch das Unterholz auf die Lichtung zu, wo das Rettungsgeschirr baumelte. Während Matsuo und ich Hatsue hielten, erwischte Mia das Rettungsgeschirr, zog es über den Kopf und unter die Arme der Verletzten. Hatsue sah aus wie in Trance. Schwer atmend und hilflos hing sie, sich im Winde drehend, in der Luft, während der Sanitäter das Seil hochzog. Sie wehrte sich nicht, schien auch nicht ganz zu wissen, was mit ihr geschah, überließ sich ganz dem Rettungsgeschirr. Kräftige Arme packten endlich die Verwundete, zerrten sie in die Hubschrauberkabine. Nur ein kurzer Augenblick, dann fiel das Rettungsgeschirr wieder herunter.
    Onkel Matsuo wandte sich uns zu.
    Â»Los, hinauf!«
    Mia und ich starrten ihn an.
    Â»Aber wir lassen dich nicht hier!«, schrie Mia.
    Â»Wie, glaubst du, bin ich ohne euch ausgekommen?«, schrie Onkel Matsuo zurück. »Weg mit euch! Kümmert euch um Hatsue!«
    Mia ging als Erste. Ich sah mit Herzklopfen, wie sie langsam hochschwebte, in die Hubschrauberkabine zu Hatsue gezogen wurde. Danach gab Matsuo mir ein Zeichen.

    Â»Los!«
    Der Wind der Rotoren ließ mich taumeln. Ich verneigte mich vor Onkel Matsuo, kippte vornüber und riss ihn dabei fast zu Boden. Matsuo stützte mich, hielt mich auf Armeslänge von sich, bis ich wieder mein Gleichgewicht hatte.
    Â»Ich bin euch zur Last gefallen«, keuchte ich. » Gomennasai!«
    Der alte Mann erwiderte knapp die Verbeugung. Er stand ganz ruhig da, beide Füße am Boden fest verankert.
    Â»Nein. Los jetzt!«
    Das Rettungsgeschirr plumpste neben mir auf Bodenhöhe. Ich packte das Seil und schrie, an Matsuo gewandt: »Pass auf Hatsues Katzen auf!«
    Er hob nur die Hand. Ein unmerkliches Lächeln zuckte um seine blassen Mundwinkel, während ich mir das Rettungsgeschirr über den Kopf zog. Es schien mir eine Ewigkeit zu dauern, während ich ungeschickt über die Baumkronen segelte, mich im Wind drehend wie an einem Fallschirm. Verrückt. Ich sah unter mir die Menschen, deren Schicksal ich für ein paar Tage geteilt hatte, immer kleiner und kleiner werden, sah auch die Verwüstungen, die Reste des zerbrochenen Deichs, die Schiffstrümmer, die langen Reihen der Toten in ihren Hüllen aus gelbem Plastik und wusste bereits, dass ich solche Bilder mein Leben lang nicht vergessen würde. Dabei hatte ich kaum das Gefühl, an Höhe zu gewinnen, und nur der plötzlich bohrende Schmerz in meinen Schultern ermöglichte es meinem verwirrten Gehirn, endlich einen Bezugspunkt zu finden. Da packten mich bereits hilfreiche Hände, zogen mich hoch, ich plumpste schwer auf den Kabinenboden neben Hatsue, und Mia rutschte im Sitzen zu mir, schloss mich in die Arme. Isao, der in seiner weißen Uniform der Sanitäter die Bordinstrumente betätigte, grinste mir zu und machte das V-Zeichen, während zum
Schluss noch die Schwangere hochgezogen wurde. Es ging ihr nicht gut, und ob sie ihr Baby behalten konnte und ihren Mann je wiedersehen würde, war fraglich. Das Rettungsgeschirr war inzwischen wieder im Hubschrauber. Wir schwebten noch einen Moment über dem Einsatzort. Und dann gewann der Hubschrauber an Höhe, es rumpelte und polterte und dröhnte. Wolken zogen vorbei, der
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