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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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quietschvergnügt und mit prachtvollem Sonnenbrand. Sie sah aus, als hätte sie Honig geschleckt. Und kaum war sie da, lagen plötzlich die Katzen auf dem Sofa, nahmen mir den Platz vor dem Fernseher weg und schnurrten verzückt. Ihren »jemand« hatte Lilo vorläufig zurückgelassen, er würde aber bald nachkommen. Mutter verstand den Wink mit dem Zaunpfahl. Ja, ja, sie hatte sowieso mal im Sinn, mit Rainer einige Kulturstätten zu besichtigen. Ich hatte null Bock auf Kulturstätten  – was hieß das überhaupt? Obendrein war ich beleidigt. Ich mochte Katzen, die drei da mochten Lilo lieber als mich, ich kam mir wie ein abgewiesener Liebhaber vor. In mieser Laune warf ich meinen Rucksack in den Toyota, knallte den Kofferraum zu, und Amalia drehte den Zündschlüssel. Wir fuhren unter Schirmakazien die staubige Straße hinauf, Lilo stand vor dem Gartentor, trug weiße Shorts und ein Tuch um die Brust geknotet und winkte munter mit rot gekochten Armen. Als sie unserer Sicht entschwand,
begann ich das zu erleben, was ich später in meiner komplizierten Art meine »wunderbar verstrickte« Lebensphase nennen würde. Was ich eigentlich damit sagen will: Ich hatte plötzlich eine Energie in mir, die im Unterbewusstsein arbeitete und das psychische Räderwerk antrieb. Und somit begann ich, aus den Sackgassen, Winkeln und Abzweigungen meines inneren Labyrinths, aus den Gängen und Fallen, die da Kindheit, Schule, Familie, Religion und Weltanschauung hießen, zu entkommen und erwachsen zu werden.
    Ende August ließen die Touristenströme nach. Schulanfang in ganz Europa. Wir nahmen uns noch ein paar Tage. Am Anfang also Florenz. Spaziergänge zunächst. Ist diese Stadt nicht schön?, fragte Mutter. Ich zog die Schultern hoch. Na ja … Auf ganz besondere Weise, das musste ich schon zugeben. Zu jeder Stunde wechselte das Licht, die Stimmung gefiel mir. Auf den Piazzas, unter Kastanienbäumen, kamen und gingen die Mädchen. Ihr Haar funkelte, ihre Busen hüpften, ihre Hüften schwangen. Ich glotzte mir die Augen nach ihnen aus. Leider zeigten mir ihre Seitenblicke unmissverständlich, dass ich nicht genug Bart hatte. Und grüne Haare? Anzügliches Kichern in jeder Gelateria. Ich nahm kummervoll wahr, dass man mich unsexy fand. Das war bitter für meine junge Männlichkeit.
    Mutter forderte mich auf, sie ins Museum zu begleiten. Ich sträubte mich vergeblich. Einmal in deinem Leben, ja? Wenn wir schon mal hier sind! Ich trabte hinter ihr her, ohne mir die geringste Mühe zu geben, mich in Schwung zu halten. Zu viele Ragazze auf der Piazza Duomo, aber keine, die mich beachtete. Ich sah ihnen kummervoll nach und knallte gegen Marmorsäulen. Amalia drehte sich von Zeit zu Zeit zu mir um, um zu sehen, ob ich ihr immer noch folgte. Dabei redete sie wie eine Lehrerin, erklärte mir die Statuen, die anatomisch perfekt alles zeigten, was man sonst verbarg, setzte
sich auf kalte Steinbänke, um mit mir die Bilder zu betrachten, die da hingen. Ich gab dann und wann einen Grunzlaut von mir, aber erstaunlicherweise sah ich mir die Bilder an und hörte auch zu. Ein starkes Interesse fesselte mich, aber ich wollte nicht, dass sie es merkte. So redete Mutter unbefangen mit jemandem, der finster Kaugummi fletschte und nie Antwort gab, was ihr offenbar nichts ausmachte. Auf diese Weise erfuhr ich, dass Filippo Brunelleschi (1377–1446) nicht nur Goldschmied war, sondern gleichzeitig auch Bildhauer und Architekt, und  – so ganz nebenbei  – auch noch die Perspektive in der Malerei erfand. Ein Multitalent, würde man heute sagen. Dass Michelangelo sich nicht wie ein Engel benahm, obwohl er so hieß und ständig welche malte, und dass Caravaggio einer meiner punkigen Vorläufer war, sozusagen ein Prototyp. Mit der Bemerkung, er habe in meinem Alter schon im Knast gesessen, vermittelte mir Mutter wichtiges Bildungsmaterial.
    Â»Was würdest du dazu sagen«, geruhte ich zu fragen, »wenn ich auch mal verhaftet würde, he?«
    Mutter nahm keinen Anstoß daran.
    Â»Ich würde dich nicht bedauern. Könnte dir sogar guttun, unbedingt.«
    Das fand ich nicht nett von Amalia, aber ich fragte mich bereits, ob solcherlei Know-how überhaupt noch Sinn für mich hatte. Nur ein Genie macht sich gut im Knast, und mit meiner Malerei war es nicht so weit her.
    Ich sah die italienische Renaissance mit den
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