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Tochter des Drachen

Tochter des Drachen

Titel: Tochter des Drachen
Autoren: Ilsa J.Bick
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ähnlich erschöpft war. Wohl kaum. Sie stand drei Meter entfernt, in Lehrbuchhaltung: die Schultern entspannt, der Rücken gerade, die Füße eine Faustbreit auseinander, die Fersen zwei Zentimeter über dem Boden. Die tiefschwarzen, unbewegten Augen funkelten hinter dem schützenden Gitter aus horizontalen Drähten im Visier des marineblauen Helms wie Laser. Zu beiden Seiten der Men, des Gesichtsschutzes, breitete sich eine dicke Kapuze aus schützendem Stoff aus, ähnlich den Helmen der antiken terranischen Samurai. Ihre Gegnerin war einen halben Meter größer, glich diesen Unterschied aber aus, indem sie ihr Shinai in Taillenhöhe hielt. Dessen Länge zeichnete eine Linie, die Chinn, wäre ihr ein Pfeil gefolgt, durch den Hals geschlagen und sie wie ein Insekt auf einem Stück Pappe an die Wand genagelt hätte.
    Nur ein lausiger gezielter Treffer, damit ich nicht wie eine völlige Idiotin dastehe. Nicht, dass es Chinn nicht schon gelungen wäre, ihr Gegenüber zu treffen. Doch alle ihre Treffer hatten die erlaubten Zielpunkte verfehlt und waren ungültig gewesen. Sie musste eine Möglichkeit finden, die Gegnerin zu täuschen. Einen Schlag auf ein bestimmtes Ziel anzutäuschen, etwa einen Shomen-uchji, einen schnellen Kopfhieb, um dann doch eine andere Stelle zu treffen. Chinns Blick zuckte zum Scheitelpunkt der Men ihrer Gegnerin, dann hinab zum linken Torso, und zurück zum Shinai. In Ordnung, wenn sie mit einem blitzschnellen Ayumi-ashi vorsprang, sich mit dem rechten Fußballen abstieß und auf den linken vorwärtsfederte, ja. Dann konnte sie einen Kopfhieb andeuten, aber nach links eindrehen, sobald ihre Gegnerin parierte. Und dann WUMM! Linker Brustschnitt, knapp unterhalb der Rippen.
    Chinn atmete tief ein, schmeckte Sandelholz und salzigen Schweiß, schob den Geschmack beiseite. »Toh!« Sie hechtete vorwärts. Nackte Füße schlugen hart genug auf den Holzboden, dass ihr der Schlag durch die Schienbeine fuhr. Ein Schritt, dann zwei. Im zweiten Schritt sah sie ihre Gegnerin einen halben Schritt zurückweichen ... und anhalten.
    Los, los! Chinn griff an, kippte ihr Shinai um neunzig Grad - und erkannte zu spät, dass sie ihre Deckung geöffnet hatte, indem sie die Spitze der Waffe zur Seite bewegte. Ihre Gegnerin wirbelte vorwärts, dann traf ein harter Schlag Chinns Schädel, den sie bis in die Zähne spürte.
    Der Alte Meister hob eine Hand. »Yama!«
    »Ja, Halt ist richtig«, stieß Chinn angewidert aus. Sie ließ das Shinai mit einem Scheppern fallen, dann zog sie am linken Kote, bis sich der gepolsterte Handschuh löste. »Ich bin es satt.«
    Ihre Gegnerin sagte nichts. Aber der Alte Meister glitt nahezu lautlos herüber. Seine Augen funkelten tadelnd. Als er sie jedoch ansprach, klang seine Stimme sanft. »Verhält sich so eine Kriegerin? Trotzig wie ein kleines Kind?«
    Chinns Gesicht brannte vor Scham, als sie die Frage hörte. Die Worte trafen präzise. Sie riss den Helm vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, um die Peinlichkeit zu überspielen. »Vielleicht passt es nicht zum Weg des Kriegers, Otome Sensei, aber man kann auch zu viel üben.«
    »Vielleicht.« Die Augen des Alten Meisters waren tiefbraun, doch an den Rändern der Iris waren sie von kleinen gelben Flecken gezeichnet, die Chinn an zerlaufene Eidotter erinnerten. »Ja, möglicherweise liegt das Problem in der Übung.« Dann sagte er Chinn und ihrer Gegnerin exakt, was er von ihnen erwartete.
    »Kämpfen? Ohne Rüstung? Ohne alles?« Chinn stierte ihn an, nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. »Das kann nicht Euer Ernst sein. Wir werden doch nicht...« Sie wollte >nackt kämpfen< sagen, doch sie brachte es nicht über die Lippen.
    »Aber natürlich können wir das«, stellte ihre Gegnerin fest und zog den Helm vom Kopf. Katana Tormarks Gesicht war so nass von Schweiß, dass ihre schokoladenbraune Haut wie eingeölt wirkte. Auch sie hatte ein mit Schweiß vollgesogenes Tenu-gui umgelegt, und ihr kurzes, welliges Haar klebte nass glänzend an der Kopfhaut. Mit fl ink en Fingern schälte sie sich aus dem Do und ließ die Rüstung neben den Helm fallen. »Verstehst du nicht, Toni?«, fragte sie, während sie ohne Scheu aus der Hakama stieg, bevor die schwarze Hose mit einem leisen Flüstern des Stoffes auf den Boden fiel.
    Chinn schluckte. Katana trug einen schwarzen Lendenschurz, der eng an den Hüften anlag. Ihre Beine waren sehr lang, mit muskulösen Schenkeln und Waden: perfekt geformt. Katana war die schönste
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