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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe
Autoren: Michael Moorcock
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Gaynor wirklich dieses sanfte Volk bis auf wenige Überlebende ausgelöscht?
    Wieder flogen wir über das Meer, von Süden wehte eine leichte Brise. Vor uns sah ich einen grünen Flecken, kaum mehr als ein kleiner Hügel, aus dem Wasser ragen. Wellen mit weißen Schaumkronen leckten daran. Der führende Drache schwenkte wieder leicht ab und umkreiste die Insel, die knapp einen Kilometer durchmaß. Ich sah ein Tudorhaus, eine zerstörte Abtei, eine weiße Halbinsel ähnlich dem Schwanz einer Ratte, die als natürlicher Wellenbrecher diente. Nirgendwo waren Leute zu sehen, die uns beobachteten. Nichts ließ darauf schließen, dass die Insel bewohnt war. In der Mitte der Insel erhob sich ein grasbewachsener Hügel, auf dem wie eine Krone ein zackiger Kreis aus Granitsteinen stand. Es wirkte wie ein Platz, an dem alte Rituale abgehalten wurden. Früher, vor langer Zeit, hatten diese Steine aufrecht gestanden und ein Observatorium, eine Kirche und einen Ort für kontemplative Betrachtungen gebildet.
    So erreichten wir die Insel Morn und Marags Berg, ›wo all die besten Tugenden des englischen Volks vor langer Zeit ihren Ursprung nahmen‹, wie der große Dichter Wheldrake es ausdrückte. Einer der großen heiligen Orte des Westens mit einer Geschichte, die noch weiter zurückreichte als die von Glastonbury oder Tintagel. Als die Drachen anmutig auf Morns reinem weißem Sandstrand landeten und ich das Meer wie eine warnende Trommel an die Felsen schlagen hörte, wusste ich, dass Gaynor hier war.
    Morn war ein alter Kraftplatz, den selbst die Nazis anerkannten, auch wenn er von den Kelten und nicht den Sachsen eingerichtet worden war. Die Insel Morn, zu der im silbernen Zeitalter vor der germanischen Explosion alle alten Völker der Welt ihre Gelehrten schickten, damit sie ihre Ideen austauschen und über die Natur des Daseins und die Unterschiede und Ähnlichkeiten der Religionen diskutieren konnten. Bevor Gewalt und Eroberung begonnen hatten.
    Nach Morn waren Bischöfe, Rabbis und muslimische Gelehrte gekommen, und Buddhisten, Hindus, Gnostiker, Philosophen und Wissenschaftler, um ihr Wissen miteinander zu teilen. Sie trafen sich regelmäßig in der Abtei unterhalb des Hügels. Eine internationale Hochschule, ein Monument des guten Willens. Dann kamen die Normannen mit ihren Drachenbooten - und es war vorbei.
    Ich kletterte von meiner Drachin, kratzte ihr unter den Schuppen den Hals und bedankte mich für die Freundlichkeit. Ich zog den skeffla’a herunter, faltete ihn zusammen und steckte ihn mir unter das Hemd. Oona stolperte zu mir und hatte Mühe, nach dem Ritt im weichen, weißen Sand aufrecht zu stehen. Sie deutete zur Landzunge. Dort lag ein deutsches U-Boot vor Anker, zwei Wachtposten sicherten das niedrige, vom Wasser überspülte Deck.
    Ein Zufall? Vorboten einer Invasionsflotte? Oder hatte Gaynor dafür gesorgt, dass sich das Boot hier befand, um im Notfall einen Fluchtweg zu haben? Aber warum? Er hatte nicht wissen können, dass wir ihm folgten. Es schien eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme für den unwahrscheinlichen Fall zu sein, dass man ihn hier entdeckte.
    Was auch immer der Grund war, das U-Boot der Nazis stellte für uns keine unmittelbare Gefahr dar. Ich denke, sie hätten ihren Augen ohnehin nicht getraut. Auf kleinen Inseln mitten in der irischen See landen nur selten Drachen.
    Ein Wort von Elric - und die riesigen Wesen schwangen sich wieder in die Luft, um hoch droben außer Sichtweite zu warten.
    Nachdem wir ein paar Augenblicke ausgeruht hatten, gingen wir über die gepflasterten Straßen des verlassenen Dorfs landeinwärts. Dort stand das große Haupthaus, wo der unabhängige Herzog der Insel bis 1918 geherrscht hatte. Jetzt war es vernagelt. Dahinter lagen Bauernhöfe, die zweifellos bei Ausbruch des Krieges evakuiert worden waren. Über eine gewundene Straße und eine Wiese ging es zur Hügelkuppe und zum Steinkreis hinauf.
    Bisher hatten wir nichts Ungewöhnliches bemerkt. Zankende Möwen schwammen auf den Wellen und schwebten in der Luft. Drosseln sangen in windgepeitschten Bäumen, Spatzen jagten in wuchernden Hecken nach Körnern. In der Ferne trommelte die Brandung ihren beruhigenden Rhythmus.
    Mit einiger Mühe erklommen wir den höchsten Punkt der Insel, wo die Granitblöcke aneinander lehnten wie alte Männer. Der Kreis war noch vollständig.
    Als wir uns den Steinen näherten, bemerkte ich ein seltsames, milchiges Licht, das im Steinkreis zu flackern schien. Ich zögerte, denn ich
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