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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Umgebung eine Möglichkeit bestand, seinen Proviant zu erneuern. Am Abend zuvor hatte er nichts entdeckt. Doch war er bis zum Dunkelwerden gewandert. Vielleicht hatte er in der Dämmerung etwas übersehen.
    Als er sich nach seinem Mantel umdrehte, der ihm als Decke gedient hatte, erstarrte Tamino und rieb sich verwundert die Augen. Er war sicher, unter freiem Himmel geschlafen zu haben und wußte, daß er auf dem Rücken lag und zu den Sternen hinaufsah. Er konnte sich doch nicht getäuscht haben! Er hatte die Sterne doch nicht durch die Zweige eines hohen Baums gesehen? Nein!
    Tamino erinnerte sich – es war ihm kurz vor dem Einschlafen aufgefallen –, daß hier außer den vertrockneten und stachligen Büschen nichts wuchs. Doch jetzt wiegte sich über dem zerknitterten Mantel, der noch den Abdruck seines Körpers aufwies, eine Dattelpalme mit einem hohen, geschuppten Stamm in der
    Morgenbrise. Die dicken
    goldbraunen Büschel zwischen den Blättern waren nichts anderes als reife, gold-gelbe Datteln.
    Tamino blinzelte und rieb sich die Augen. Ihn überkam wieder die Furcht, die ihn am Anfang seiner Reise gequält hatte –
    ∗ ∗ ∗
    daß die Einsamkeit ihn zum Wahnsinn treiben könnte. Eine Dattelpalme, die auch noch mit reifen Früchten beladen war!
    Und beim Einschlafen… hier unter diesem Baum…
    hatte er nichts dergleichen gesehen!
    Doch der dicke runzlige Stamm verschwand nicht unter seinen Händen, als er daran hochkletterte. Tamino schob sich eine der frischen weichen Früchte in den Mund. Man konnte sie nicht mit den kunstvoll zubereiteten Datteln an der Tafel des Kaisers vergleichen, von denen der Sirup tropfte, und die mit köstlichen Dingen gefüllt waren. Doch diese Dattel schien ihm gut genug zu sein, um einem Kaiser vorgesetzt zu werden. Er aß noch ein paar und nahm sich ein ganzes Büschel als Vorrat mit.
    Für Nahrung war gesorgt, es sei denn… – und das glaubte er eigentlich nicht –, daß es sich um einen merkwürdigen Traum, geboren aus Hunger und Einsamkeit, handelte, und er immer noch erschöpft unter dem trockenen und kahlen Busch in der Wüste schlief.
    Sein Hunger war gestillt, und er wandte sich dem dringende-ren Problem des Wassers zu. Dattelpalmen standen nicht einfach so in der Wüste. Tamino wußte, daß sie nur an Oasen wuchsen. Hatte man ihn im Schlaf, davongetragen, seinen Körper in eine Oase voller Dattelpalmen gebracht, die die Quelle umstanden? Leider nein. Außer dieser Dattelpalme, unter der er offensichtlich eingeschlafen war, ohne sie bemerkt zu haben, wuchs weit und breit nichts in dieser Einöde. Tamino konnte das Rätsel nicht lösen.
    Mit Sicherheit schlief er nicht mehr. Es gab nur eine mögliche Erklärung, die ebenso wahnwitzig war wie alle anderen Vorstellungen: Der trockene, dornige Strauch hatte sich verwandelt, während er schlief, hatte sich in eine Dattelpalme verwandelt und stand an einem Platz, an dem keine Dattelpalmen wachsen konnten. Nannte man diese kahle Wüste deshalb das Land der Wandlungen?
    ∗ ∗ ∗
    Die Datteln waren wirklich und wohlschmeckend – zumindest sagten ihm das Gaumen und Magen. Wie schade, daß man nicht daran gedacht hatte, die Oase ebenfalls hierher zu verpflanzen.
    Im Norden ragte ein Felsbrocken auf, nicht sehr hoch, konnte aber in dem flachen Land vielleicht als Aussichtspunkt dienen. Von dort oben würde er, so dachte Tamino, sehen, ob es in dem rauhen und kahlen Land Anzeichen für eine Oase oder auch nur irgendwelche Pflanzen gab, die auf Wasser schließen ließen. Tamino kletterte auf den Felsen und spähte aufmerksam in alle Richtungen. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, und ihre hellen Strahlen nahmen ihm die Sicht nach Osten. Tamino kniff die Augen vor dem grausamen, gleißenden Licht zusammen und sah jetzt nicht nur den niedrigen Horizont mit den fernen Formen, die er beim Auf-wachen entdeckt hatte, sondern etwa auf halbem Weg in dieser Richtung das helle Grün von Palmen und ein Glitzern, das Wasser sein mochte.
    Eigentlich war das so unwahrscheinlich wie die Palme und die Büschel reifer, süßer Datteln, in die sich der dornige Busch über Nacht verwandelt hatte. Sah er eine Fata Morga-na? Nach zehn Tagen nichts als Wüste kannte Tamino auch diese Gefahr. Und doch hatten ihm die wundersamen Datteln ein gutes Frühstück beschert. Es würde sich also lohnen, herauszufinden, ob er in einer ebenso wundersamen Oase seinen Durst löschen konnte.
    In wenigen Augenblicken hatte er seine Sachen
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