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TKKG 073 - Hilflos in eisiger Nacht

TKKG 073 - Hilflos in eisiger Nacht

Titel: TKKG 073 - Hilflos in eisiger Nacht
Autoren: Stefan Wolf
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wuchtig gebaut und stark wie ein Gorilla. Er hatte einen runden Schädel, den er auch im Gefängnis kahl rasierte, und kleine Augen: kaum größer als Rosinen. Das Größte an ihm waren die Ohren. Mit denen konnte er wedeln wie ein afrikanischer Elefant, weshalb ihn die Mithäftlinge ,Jumbo' getauft hatten. Er mochte den Spitznamen.
    "Mit Wuttke", erklärte Christian ,Jumbo' Körner, "fing mein Unglück an."
    Selbig kannte die Geschichte. Etwa 60mal hatte er sie angehört. Trotzdem zwang er auch jetzt Interesse auf sein knochiges Gaulgesicht.
    "Der wusste genau", sagte Jumbo Körner, "dass ich die Betriebskasse nicht geklaut habe. Ich wäre ja blöd gewesen. Schließlich hatte ich eine gute Position in der Firma. Aber Wuttke hat mich beschuldigt, hat mich rausgefeuert und mir jede Chance verdorben. Ohne ihn
    wäre ich heute schon... äh... Bundestagsabgeordneter."
    "Das ist nichts Besonderes", hatte Selbig geantwortet.
    "Aber besser als Knasti."
    "Etwas besser."
    "Viel besser. Die bestimmen ihre Gehälter selbst, ihre so genannten Diäten, und sind nicht pinselig, wenn's um Erhöhungen geht. Da wird geklotzt, nicht gekleckert, auch wenn man dem Wahlvolk Sparsamkeit verordnet - besonders auf dem Sektor Gesundheit. Nein, die haben es besser. Die beziehen Diäten. Wenn ich da an unseren Stundenlohn fürs Tütenkleben denke."
    "Aber die haben mehr Stress", hatte Selbig eingewandt.
    "Stress! Stress! Ich hatte Stress! Durch Wuttke. Er hat sich gerächt an mir."
    "Wegen dem Mädchen?"
    "Wegen Marion. Ich glaube, so hieß sie. An die denke ich nicht mehr. Wuttke konnte nicht bei ihr landen, obwohl er ihr Chef war. Ihr Chef und mein Chef. Aber ich hab' sie verführt. Auf 'nem Betriebsfest."
    "Toll! War sie hübsch?"
    "Mittelmaß. Aber sie war groß. Ein-Meter-und-dreiund- achtzig. Das weiß ich noch. Ich liebe große Frauen. Und sie stand total auf die Kurzwüchsigen, aber Starken wie mich. Wuttke hat uns beobachtet und war dann sauer wie eine Essiggurke. Die Niederlage hat er mir nicht verziehen. Marion - oder hieß sie Petra? - wurde entlassen. Mir hat er den Griff in die Kasse angehängt. Dieses Schwein! Du, ich bombe seinen Laden kaputt. Die ganze Firma jage ich in die Luft. Hilfst du dabei?"
    "Nee."
    "Ich würde dir helfen."
    "Trotzdem: Nein!"
    "Und wenn wir uns zusammentun nach der
    Entlassung?"
    "Dann vielleicht", hatte Selbig eingelenkt, denn einen verlässlichen Komplicen zu haben war immer von Vorteil.
    Die Jahre vergingen. Selbig hörte Körners Geschichte mindestens einmal pro Woche. Dann kam die Zeit der Entlassung.
    Kurt Selbig war eher dran. Der Freitag vor dem zweiten Advent war sein letzter Tag in der StrafvollzugsAnstalt.
    Körner tat den langersehnten Schritt in die Freiheit an diesem Samstag Mitte Januar - und hielt das für einen guten Einstieg ins neue Jahr.
    Durchs Abteilfenster war die Strafanstalt zu sehen. Körner blickte hinaus. Wie er diese Betonmauern hasste! Jahre seines Lebens hatte er dahinter zugebracht.
    Jetzt lag seine Entlassung eine knappe Stunde zurück. Er wollte Selbig aufsuchen. Noch heute.
    Sicherlich hatte der sich inzwischen in der Freiheit eingelebt. Einen Brief hatte er in die Strafanstalt geschickt - mit seiner Adresse, die wohl noch die alte war wie vor Jahren: Frustel-Weg 21.
    Körner zündete eine Zigarette an und blickte auf, als die Abteiltür geöffnet wurde.
    Er hatte gehofft, allein zu bleiben, doch jetzt...
    "Tag, Körner! "
    Hugo Wuttke, der, den er hasste wie keinen ändern, ließ sich gegenüber auf dem Mittelplatz nieder.
    Körner antwortete nicht.
    Wuttke hatte sich kaum verändert. Vom Hut bis zu den Stiefeln sah er aus, als käme er von der Jagd.
    Seine Leidenschaft war das: Tiere erschießen.
    Er grinste. "Ich habe Beziehungen, Körner. Ich habe erfahren, dass Sie heute entlassen werden. Mann, nun machen Sie nicht so ein grimmiges Gesicht! Immer noch wütend auf mich? Ist doch lange her. Ja, es war ungerecht. Ich entschuldige mich. Ich stand damals irgendwie neben mir. Ein Koller. Diese Petra hatte es mir angetan."
    "Sie hieß Marion", sagte Körner, und seine Elefantenohren zuckten.
    "Nein. Marion war die Freundin, die kleine Dicke. Die Große mit den langen Haaren hieß Petra."
    "Sie hieß Marion! Die Kleine hieß Petra."
    "Körner, das ist doch egal."
    Wuttkes Gesicht war schnapsrot wie immer. Sein Lachen klang fettig. Er hatte Speck auf den Rippen und Schuhgröße 48, aber auffallend kleine Hände. Auf den ersten Blick wirkte er gemütlich, auf den zweiten -
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