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Tiphanie – Feuer der Sehnsucht

Tiphanie – Feuer der Sehnsucht

Titel: Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Autoren: Marie Cordonnier
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der zierlichen Gestalt im Nonnengewand, das den Hieb zur sinnlosen Brutalität machte. Trotz des Schmutzes, der verzerrten Züge und der verkratzten Hände war sie doch nur eine schwache Frau. Wie hatte sie es fertig gebracht, sich seit September in diesen zerstörten Mauern zu verbergen? Wovon hatte sie gelebt? Von sehr wenig, so wie sie aussah. Sie glich mehr einem halb verhungerten, durchsichtigen Waldgeist, denn einer Nonne.
    »Wir nehmen Quartier in Auray!«, befahl Jannik de Morvan als Fazit dieser Überlegungen. »Die Kleine benötigt sofort die Hilfe einer Frau, Nahrung und ein vernünftiges Dach über dem Kopf. Unsere Suche können wir auch morgen bei Tageslicht fortsetzen.«
    Er nahm seinen Platz an der Spitze des Trupps wieder ein und barg das bewusstlose Mädchen vorsichtig in seinen Armen. Er ahnte nicht, welche Ereignisse er damit in Gang setzte.

1. Kapitel
    Heilige Anna, ich danke dir! Du weißt nicht, wie sehr ich mich danach gesehnt habe, dass es vorbei ist! Ich bin deine demütige Magd und ...«
    »Sie ist wach!«
    Der Ruf, ausgestoßen von einer überraschten, kehligen Frauenstimme, im einfachen Dialekt der Leute von Auray, passte so wenig zu ihrer Vorstellung vom himmlischen Paradies, dass sie sich mühte, die Augen zu öffnen. War sie denn nicht tot?
    »Seht Ihr, Seigneur? Die Wimpern flattern und die Hände ... seht nur ...«
    Jeder ihrer hilflosen Versuche, sich zu bewegen, wurde haarklein und aufgeregt beschrieben. Ein Umstand, der sie reizte wie das lästige Kitzeln eines Grashalmes, und dieser Unwillen verlieh ihr endlich die Kraft, wenigstens die Lider zu heben.
    Verschwommene Helligkeit, blendendes Licht und undeutliche Konturen. Die kühle Kante eines Zinnbechers berührte ihre verschorften Lippen, und warme Flüssigkeit drang in ihren Mund. Sie hatte schrecklichen Durst, aber sie war nicht fähig zu schlucken.
    »Seht Ihr denn nicht, dass sie viel zu schwach ist, um selbst zu trinken, Frau?«, mischte sich eine Männerstimme unwillig ein. »Das arme Ding ist halb verhungert und fast verdurstet ...«
    Ein paar Tropfen fanden dennoch den Weg in ihren Hals, und ein erstickender Hustenanfall schüttelte ihren Oberkörper. Sie rang krampfhaft nach Luft und kam zu der Erkenntnis, dass sie immer noch leben musste. Nicht einmal im Fegefeuer mutete man den armen Sündern solche Qualen zu. Sie erkannte Hände, die nach ihr griffen, und stieß sie erschrocken zur Seite. Sie musste den Becher getroffen haben, denn die Frau schrie empört auf und etwas Schweres kollerte über den Boden.
    »Beruhigt Euch, Kind!« Jemand umfasste ihre Hände mit energischer Gewalt und verhinderte weitere, unbeherrschte Bewegungen. »Ihr werdet Euch selbst umbringen, wenn Ihr nicht zulasst, dass wir Euch helfen! Hört Ihr mich? Ihr seid in Sicherheit! Niemand fügt Euch Böses zu!«
    Es waren weniger die Worte als die bezwingende Zuverlässigkeit der volltönenden Männerstimme, die ihren Widerstand brach. Sie schöpfte rasselnd Atem und zwang ihre Augen, auf einem der hellen Punkte zu bleiben, die im Licht über ihr schwammen. Mehr und mehr gewann ein Gesicht an Konturen.
    Ein Männerantlitz kristallisierte sich aus dem Nichts. Kantige, scharfe Züge mit buschig dunklen Brauen über düsteren Augen. Eine stolze Nase, deren Krümmung die edle Linie einer noblen Ahnenreihe verriet. Die Schatten des nachwachsenden Bartes konturierten Kinn und Wangen, während der geschwungene Mund überraschend sinnliche, lebendige Lippen besaß, die sich zu einem angedeuteten Lächeln verzogen.
    »Ihr seid in Sicherheit«, wiederholte er eindringlich und gab ihre Hände jetzt frei. »Lasst Euch stützen, damit Ihr trinken könnt ...«
    Sie versuchte entsetzt, die Berührung zu vermeiden. Noch nie hatte ein Mann sie angefasst! Aber entweder bemerkte er es nicht oder es kümmerte ihn nicht. Er stützte sie mit dem Arm, während er mit der anderen Hand nach dem Becher griff, den die Frau wieder gefüllt hatte. Mit unendlicher Geduld flößte er ihr tropfenweise eine sirupartige Flüssigkeit ein. Sie schmeckte nach Kräutern und Gewürzen und linderte das Kratzen in ihrer Kehle, obwohl sie jeder Schluck unendliche Kraft kostete. Dass sie über dieser Anstrengung einschlief, bemerkte der Mann erst, als der Trank über ihren dünnen, schmutzigen Hals tropfte.
    In ihrer grenzenlosen Erschöpfung verwischten sich unaufhörlich die Grenzen zwischen Schlafen und Wachen. Die angenehme Männerstimme wurde zum einzigen Halt in diesem quälenden
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