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Tiphanie – Feuer der Sehnsucht

Tiphanie – Feuer der Sehnsucht

Titel: Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Autoren: Marie Cordonnier
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Nebel. Sie wies ihr den Weg zum Leben, zur Wirklichkeit. Die Stimme tröstete und forderte, sie beruhigte und munterte auf. Sie ließ nicht zu, dass sie verzagte und sich in den Wolken der Schwäche verlor, wie sie es nur zu gerne getan hätte.
    »Mach die Augen auf, du widerspenstiger Hänfling!«, vernahm sie ihren respektlosen Befehl. Die Worte sanken wie störende Kieselsteine in ihre mühsam bewahrte Fassung. »Ich merke, dass du wach bist. Du wirst jetzt diese Suppe zu dir nehmen, oder ich sehe mich gezwungen, sie dir gewaltsam einzuflößen!«
    Sie gehorchte lustlos. Die Augen kaum geöffnet, in einer Mischung aus Schicksalsergebenheit und Scheu. Was wollte er von ihr? Weshalb hatte er sie gerettet? Wozu diese hartnäckigen Bemühungen, sie in ein Leben zurückzuführen, das sie mit Freuden verloren hätte? Warum hatte er sie nicht sterben lassen?
    Sie erfuhr es, als er begann, Fragen zu stellen. Fragen danach, was im Kloster geschehen war. Fragen nach Mutter Elissa und den anderen. Sie konnte ihm nicht antworten. Keine Silbe kam über ihre Lippen. Die Vorkommnisse zu beschreiben, würde die Greuel wieder heraufbeschwören, die Schreie, das Blut, die verzweifelten Gebete und am Ende – die lastende Stille ...
    Die Stille war schlimmer gewesen als alles andere. Eine Stille, die in den Ohren dröhnte und schmerzte. Die als grauenerregendes Echo von den reglosen Gestalten zurückgeworfen wurde, die sie gefunden hatte, als sie es gewagt hatte, ihr Versteck endlich zu verlassen.
    Sie hatte Mutter Elissas Befehl zuwider gehandelt. Sie war nicht in den schützenden Wald geflohen, ehe die Söldner über das Kloster herfielen. Zwischen der Angst vor dem Unbekannten und jener vor dem Tod war ihr das Unbekannte schlimmer erschienen. Weshalb nur hatte die heilige Anna ihre Hand über sie gehalten? Keiner der Mörder war auf die Idee gekommen, in das niedrige, geduckte Backhaus zu schauen, das sich an die Rückseite des Küchenhauses schmiegte. Nur ein so zierliches Mädchen wie sie hatte in dem ummauerten Rechteck Platz finden können, in dem die Brote des Klosters gebacken wurden.
    Sie wusste nicht, wie lange sie in diesem selbstgewählten Verlies verharrt hatte, ehe sie steif, verängstigt und zitternd ins Freie kroch. Ehe sie mit entsetzten Augen sah, was die Söldner aus der frommen Zuflucht der heiligen Anna und ihren Dienerinnen gemacht hatten. Einen Ort des Todes und der Martern. Trotzdem hatte sie nicht gewagt, ihn zu verlassen. Sie kannte keine andere Heimat, keine andere Zuflucht.
    Sie hatte ihr möglichstes getan, die Toten zu begraben. Sie hatte mit Hacke und Händen die weiche Erde geöffnet, die einmal der Gemüsegarten des Klosters gewesen war, und so gut es ging Gräber geschaffen. Danach hatte sie von den ärmlichen Resten des Obstgartens und der ohnehin spärlichen Klosterküche gelebt und am Ende sogar Wurzeln und Blätter gegessen. Irgendwann hatte der Hunger ohnehin nachgelassen, und während sie betete, hatte sie immer öfter alles um sich herum vergessen. Sie hatte geglaubt, eine Art Fegefeuer auf Erden zu erleben, ehe sie erlöst ihren Schwestern und Mutter Elissa folgen durfte ...
    »Schockschwerenot!«
    Sie zuckte zusammen. Der wütende Fluch des Retters zerriss den Schleier.
    »Bist du stumm, Mädchen?«
    Scheu starrte sie ihn an. In ihrem hageren, sauber geschrubbten Gesicht heilten die Kratzer und Schrammen bereits, die sie sich bei ihrer verzweifelten Gegenwehr geholt hatte. Der Bluterguss am Kinn schillerte ins Gelbliche, und die farblosen Lippen bebten vor Angst. Furcht stand auch in den riesigen Augen, die ebenfalls seltsam fahl, fast durchsichtig erschienen. Der kaum fingerbreite Haarflaum, der auf ihrem rücksichtslos geschorenen Kopf nachwuchs, sagte ihm, dass sie vor kurzem ihr Gelübde abgelegt haben musste.
    Es war ein seltsames, eigenartiges Antlitz, fern jeder Schön heit und jeden Lebens, auch wenn die Struktur der Knochen und die kleine Nase durchaus gefällig wirkten. Es war das Antlitz einer Toten, und Jannik de Morvan verspürte die abergläubische Anwandlung, sich zu bekreuzigen. Es machte ihm Mühe, es nicht zu tun.
    »Du hast Schreckliches erlebt«, machte er sich seinen eigenen Reim auf ihren panischen Schrecken. »Es tut mir leid, wenn ich all das wieder aufwühle. Willst du mir nicht wenigstens deinen Namen sagen?«
    Sie machte den kläglichen Versuch, um ihn nicht noch mehr zu verärgern, aber sie brachte nur einen heiseren Laut zustande. Sie hatte so viel geweint,
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