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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef
Autoren: Andreas Pittler
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wiederum seine Legitimation und erklärte Selzer in kurzen Worten sein Begehr.
    „Na, das werden wir gleich haben“, erklärte der aufgeräumt und läutete nach einem Amtsdiener. „Die Akte Mészáros“, sagte er dem Gehilfen. „Pronto!“
    Dann sah er wieder Bronstein an: „Sehr lange kann das nicht dauern. So viele Kursteilnehmer haben wir ja nicht.“ Dann verfiel er in Schweigen, und Bronstein verspürte ohnehin keine größere Lust zu reden. Der Hauptmann griff zu seinem Etui und entnahm diesem eine Zigarette. Dann hielt er es Bronstein entgegen: „Wollen Sie auch eine?“
    „Danke. Gerne.“
    Selzer gab ihm Feuer, dann versanken beide wieder in beredtes Schweigen. Endlich tauchte der Amtsgehilfe mit dem Akt auf. Selzer nahm ihn entgegen und schlug ihn auf.
    „Da haben wir es ja. Mészáros Lajos.“
    Von wegen Kurt!
    „Geboren am 2. April 1886 in Fünfkirchen. Eintritt in die Militäroberrealschule in Mährisch-Weißenkirchen am 2. September 1904. Ausmusterung als Leutnant am 30. Juni 1907. Beförderung zum Oberleutnant mit Wirksamkeit vom 1. Juli 1910. Teilnahme am Generalstabskurs seit 1. Jänner 1912. Diente von 1907 bis 1911 im Bereich des Korpskommandos 12 Hermannstadt, danach ein paar Monate direkt beim Korpskommando 15 in Sarajevo. Von dort direkt hierher zum Generalstabskurs. Gehört seit 1907 zum Stamm des 99. Infanterieregiments.“ An dieser Stelle blickte Selzer kurz auf: „Das hätten S’ übrigens erkennen können, Herr Oberkommissär, an der Egalisierung nämlich. Schwefelgelbe Egalisierungsfarbe und gelbe Knöpfe signalisieren, dass es sich um das 99. Infanterieregiment handelt.“
    Doch Selzer machte schnell eine einschränkende Geste. „Bitte, es könnte natürlich auch das 16. Infanterieregiment sein, dessen Egalisierung mit jener des 99. identisch ist. Und ich gebe zu, ich hätte bei dem Namen auch eher auf das 16er getippt, denn das ist ja ein ungarisches Regiment.“
    Jetzt wurde Bronstein neugierig: „Stimmt das eigentlich, Herr Hauptmann, dass unsere Streitkräfte hinsichtlich der Egalisierung zwischen zwölf verschiedenen Rottönen unterscheiden?“
    „Selbstverständlich. Als da wären Scharlachrot, Karmesinrot, Bordeauxrot, Rosenrot, Kirschrot, Dunkelrot, Krebsrot, Krapprot, Amarantrot, Blassrot und Rotbraun. Ähnliche Abstufungen kennen wir übrigens auch bei Blau und Grün. Wollen S’ die auch wissen?“
    „Nein danke, das genügt mir. Zumal der Herr Oberleutnant ja eh unter die Gelbweißen fällt.“
    „Äh, richtig“, pflichtete Selzer bei.
    „Gut. Und was ist über den Herrn Oberleutnant sonst noch zu sagen?“
    „Nun ja“, blätterte Selzer weiter, „seine Bewertungen sind durchwegs recht gut. Da kann man nichts sagen. Mir persönlich sagt der Mann nichts, aber das hat nichts zu bedeuten, da wir hier selten mit den Leuten direkten Kontakt haben. Aber Sie können den Rittmeister Jaworsky fragen, der ist so etwas wie der Tutor für die Kursteilnehmer. Der wird Ihnen sicher weiterhelfen können.“
    „Ah ja, und wo find ich den Herrn Rittmeister?“
    „Genau zwei Zimmer weiter.“
    „Hervorragend. Sie haben mir sehr geholfen. Ich danke Ihnen, Herr Hauptmann.“ Bronstein erhob sich und hielt dem Offizier die Hand hin, die dieser ergriff.
    „Wissen S’ was, nehmen S’ den Akt gleich mit, damit sich der Jaworsky besser erinnern kann.“
    Bronstein war schon fast bei der Tür, als Selzer sich noch einmal vernehmen ließ: „Aber, sagen S’ einmal, warum sind S’ denn so am Mészáros interessiert? Hat der was ausgefressen?“
    „Nein, Herr Hauptmann. Er ist tot, und wir müssen die näheren Zusammenhänge dieses Ablebens untersuchen.“
    Selzer blieb der Mund offen. „Und das sagen Sie mir so … en passant?“
    „Na ja“, schnalzte Bronstein mit der Zunge, „tät’s was ändern, wenn ich’s Ihnen schonend beibracht hätt?“
    Kurz überlegte der Offizier, ob er sich durch Bronsteins nassforsche Antwort affrontiert fühlen sollte, doch dann entschloss er sich zur Konzilianz. „Solange kein Schatten auf des Kaisers Armee fällt, ist mir das, mit Verlaub, eher …, na ja, Sie wissen schon.“
    „Eben“, nickte Bronstein. „Alsdern, habe die Ehre.“
    Zwei Bruchteile einer Sekunde später klopfte Bronstein an die Tür von Rittmeister Jaworsky. Ein Knurren von der anderen Seite der Pforte beschied ihm einzutreten. Ein polnischer Kleinadeliger mit einem bemerkenswert großen und kunstvoll gezwirbelten Schnurrbart saß kerzengerade auf einem
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