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Tinnef

Tinnef

Titel: Tinnef
Autoren: Andreas Pittler
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keinen Richter brauchen, wie’s so schön heißt. Mit dem Wisch geh ich doch nicht zur Polizei! Nein! Damit geh ich zur Zeitung. Die reißen sich seit gestern um alles, was irgendwie mit dem Redl zu tun hat. Je abgründiger, desto besser. Morgen um die Zeit weiß die ganze Monarchie von Bozen bis Czernowitz und von Prag bis Dubrovnik, wie der kleine Lustknabe des Spions heißt und wo er wohnt. Und übermorgen weiß es die ganze Welt. Glaub mir, da bin ich dann lieber ein jüdischer Bengel als ein warmer Bruder.“
    Baumgartens Gesicht versteinerte sich. Deutlich konnte man ihm ansehen, wie ihm nach und nach die ganze Tragweite von Bronsteins Ausführungen bewusst wurde. „Das würden nicht einmal Sie tun, Sie widerwärtiger Satan, Sie!“
    „Doch. Würde ich nicht nur, werde ich auch. Und zwar jetzt dann gleich. … Obwohl – da fällt mir noch etwas ein. … Deinem Redl hat man, weil er doch Offizier war, den Revolver auf den Tisch gelegt und ihm geraten, guten Gebrauch davon zu machen. Vielleicht sollte ich, weil ich heute meinen guten Tag hab, dir auch noch eine Chance einräumen. Wenn du dich freiwillig stellst, dann vergesse ich das mit der Zeitung. Dann hast immerhin die Chance, dass deinem Vater das ganze Ausmaß deiner Verkommenheit und die damit verbundene Schande erspart bleibt.“
    „Sie sind ja irre. Wenn ich mich stelle, dann fliegt die Sache ja wohl erst recht auf!“
    „Tja, ich würde dir ja gerne die Browning zurückgeben, damit du damit machst, was dein Redl damit gemacht hat, aber ich fürchte, du würdest nur versuchen, dich noch irgendwie rauszuwinden.“
    Jetzt brach Baumgarten endgültig zusammen. „Sie müssen mir doch noch irgendeine Chance lassen, da rauszukommen.“ Er faltete die Hände und hielt sie Bronstein bettelnd entgegen.
    „Du bist ein Mörder, Baumgarten. Welche Chance verdient ein Mörder?“
    „Geh bitte, das war doch kein Mord, das war ein Augenblick von Sinnesverwirrung, glauben Sie ernsthaft, ich wollt den armen Dodel umbringen? Nein, wenn er mich nicht so provoziert hätt und er sich nicht selbst so auf dem Präsentierteller …, dann wär das doch … nie passiert.“
    „Da hat er wahrscheinlich sogar recht, der Lump“, ließ sich nun erstmals wieder Kisch vernehmen. Bronstein überlegte.
    „Gut, mir ist das wurscht, wofür du dich stellst. Wenn du lieber die Sache mit dem Redl zugeben willst, soll’s mir auch recht sein. Du wirst unehrenhaft aus der Armee entlassen, kriegst ein paar Jahre wegen widernatürlicher Unzucht, und die zählen eh doppelt und dreifach, weil du als Schwuchtel im Häf’n eh jeden Tag Kirtag hast. Aber wenn du stark bist, dann stehst du das durch. Du hast dann deine Sünden abgebüßt und kannst irgendwo unter anderem Namen von vorn anfangen. Vielleicht in Amerika. Oder du wirst Missionar in Afrika. Jedenfalls ersparst du dir den Galgen. Das ist das Angebot, das ich dir mache. Mehr gibt’s nicht.“
    Baumgarten sank in sich zusammen und begann tatsächlich zu schluchzen. Er hielt sich die Hände vors Gesicht und weinte wie ein kleines Kind. Bronstein blieb unbeeindruckt: „Das nächste Koat ist rund zweihundert Meter von da. Bis vor die Tür werden wir dich begleiten. Alsdern, gemma’s an.“
    So, wie er gekleidet war, trat Baumgarten, als wäre er in Trance, auf den Gang und schickte sich an, die Stiegen abwärts zu steigen. Bronstein blieb dicht hinter ihm und richtete den Revolver, den er nun in seine Jackentasche gesteckt hatte, weiter unverwandt auf Baumgarten. Als sie auf die Straße traten, sah der Offizier einen Moment lang in den Himmel, so, als wollte er sich ein letztes Mal der Sonne versichern. Doch Bronstein hatte wenig Verständnis für derlei Sentimentalitäten. Ein sanfter Druck beförderte den Mann weiter, und einige Augenblicke später kam das Kommissariat in den Blick. „Wir warten hier. Wenn du sagst, was du versprochen hast, dann kommst du nicht mehr raus. Wenn doch, wissen wir, dass du uns rollen willst. Dann tritt Variante zwei in Kraft. Die Zeitungen!“ Baumgarten drehte sich halb zu Bronstein um und nickte matt. Dann schlich er, als hätte er eben Schierling getrunken, dessen Wirkung nun einsetzte, die letzten paar Meter weiter und verschwand im Inneren der Dienststelle.
    Eine halbe Stunde später hielt es Bronstein nicht mehr aus. Er betrat selbst das Kommissariat, zeigte seine Marke und erkundigte sich, ob ein Herr Baumgarten sich gestellt habe. Die uniformierten Kollegen bestätigten ihm dies. Er werde
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