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Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Timpetill - Die Stadt ohne Eltern: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: Henry Winterfeld
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schlug in die dargebotene Rechte. »Ich verspreche es dir, Thomas«, rief er so laut, dass alle es hören konnten. Die beiden Rivalen standen Hand in Hand.
    »Ein Mann, ein Wort, Oskar!«, erwiderte Thomas und nickte ihm freundlich zu.
    Die Kinder jubelten. Sie stellten sich auf die Bänke, schwenkten die Arme, scharrten mit den Füßen und riefen: »Hoch Thomas! Hoch Thomas!«
    Plötzlich wurde das große Tor aufgerissen. Albert Biene kam wie ein Pfeil hereingesaust, setzte mit einem Riesensatz über die Barriere, sprang auf die erstbeste Kiste und kreischte so laut, dass ihm beinahe die Stimme versagte: »Die Eltern kommen!! Die Eltern kommen!!«
    Es wurde mit einem Schlag still in der Halle. Alle Kinder standen wie gelähmt auf ihren Plätzen. In diesem Augenblick hörten wir von draußen das Dröhnen der Kirchenglocken. Das war das Signal, dass die Eltern in Sicht waren.
    »Auf, zum Geißmarkt!«, brüllte Thomas.
    Ein unbeschreiblicher Tumult brach aus. Die Kinder drängten zum Ausgang.
    »Die Eltern! Die Eltern! Hurra! Hurra!«, schrien sie wie die Wahnsinnigen vor Freude und rannten, so schnell sie nur konnten.

24
    »Alle Vöglein sind schon da«
    Briefträger Krüger hat mir auch noch die Rückkehr der Eltern in die Stadt geschildert. Das war einige Tage, nachdem er mir von ihrem Auszug aus Timpetill und von ihrer Gefangennahme an der Grenze erzählt hatte. Ich habe aber das Kapitel bisher absichtlich weggelassen, weil ich es am Schluss bringen wollte.
    »Alle Wetter, waren wir damals aufgeregt!«, berichtete Herr Krüger schnaufend. Er saß wieder in meinem Mansardenstübchen und war ein bisschen außer Atem, weil er gerade die Briefe ausgetragen hatte. Er zündete sich umständlich seine Pfeife an und fuhr dann fort: »Von unserer Hetzjagd durch den Reckenwald habe ich dir erzählt. Da standen wir nun ganz erschöpft am Waldesrand und schauten besorgt auf Timpetill. Wir hatten solche Angst, wie es um euch stehen würde, dass wir uns anfangs gar nicht in die Stadt getrauten. Wir waren schon froh, dass alle Häuser heil aussahen. Nur die völlige Ruhe in den Straßen war uns äußerst verdächtig. Als mit einem Mal die Kirchenglocken losbimmelten und die Sirene vom Elektrizitätswerk ununterbrochen tutete, glaubten wir, nicht recht zu hören.«
    »Das war mein Werk!«, bemerkte ich.
    »Aber die größte Überraschung erlebten wir doch auf dem Geißmarkt!«, rief Krüger aus. »Junge, wie ihr das fertiggebracht habt, und dermaßen fix! Einfach toll! Wir waren wirklich platt!«
    »Der feierliche Empfang war Thomas’ Idee«, sagte ich. »Wir hatten die Einzelheiten schon lange vorher im Kommandantenrat ausgetüftelt.«
    »Na ja«, brummte Krüger und schneuzte sich in sein Taschentuch, »wir waren auch alle bis zu Tränen gerührt. Überhaupt, das muss ich euch Rackern lassen, wie ihr die Sache in Timpetill gedeichselt habt, solange wir weg waren, das hat alle eure früheren Schandtaten reichlich wiedergutgemacht!«
    Ich strahlte. »War auch keine Kleinigkeit, Herr Krüger«, erwiderte ich erfreut. »Wir haben im Schweiße unseres Angesichts arbeiten müssen! Wir waren mächtig froh, als wir euch ankommen sahen«, fügte ich hinzu.
    »Sonst hättet ihr uns bestimmt nicht so begeistert begrüßt«, meinte Herr Krüger lachend. Dann sprang er plötzlich auf. »Teufel noch mal! Jetzt muss ich aber sehen, dass ich weiterkomme!« Er hängte sich seine Posttasche um, legte grüßend zwei Finger an die Mütze und stapfte zur Tür hinaus.
    Ich blieb an der Schreibmaschine sitzen und dachte nach: Herr Krüger hatte schon recht gehabt, als er sagte, dass die Eltern »platt« gewesen waren.
    Der Empfang war uns fabelhaft gelungen. Als die Kirchenglocken zu läuten anfingen und wir aus dem Tattersall stürmten, wusste schon jeder, was er zu tun hatte. Alle Sachen für die Begrüßungsfeierlichkeiten waren längst im Rathaus aufgestapelt worden. Kaum zehn Minuten nach dem Glockenalarm waren alle Kinder von Timpetill auf dem Geißmarkt versammelt. Sie warteten in größter Aufregung auf das Erscheinen der Eltern. Röschen Traub, Lotte Dröhne und Pussi Tucher hatten weiße Kleider angezogen; sie sollten den Eltern Blumensträuße überreichen. Die Blumen hatten wir rasch aus Bienes Blumenhandlung geholt. Alle kleinen Kinder standen in einem riesigen Kreis auf dem Geißmarkt und hielten eine Kette von Papiergirlanden in den Händen. Vor dem Rathaus war die gesamte Schutztruppe aufmarschiert. In vorderster Reihe standen die
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