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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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vertraut. Ein Team der Gesundheitsbehörde untersuchte die Stelle, wo sie den Arzt heimlich verscharrt hatten, um sich zu vergewissern, dass er weit entfernt von jeder menschlichen Siedlung an der Grenze lag.«
    »Mein lieber Mann, wie liebenswürdig!«
    »Von jeder menschlichen Siedlung auf unserer Seite.«
    Morgado konnte angesichts seiner Naivität nur den Kopf schütteln.
    »Das Team der Gesundheitsbehörde stellte fest, dass die mit der Beseitigung beauftragten mexikanischen Polizisten zweimal auf die Leiche geschossen hatten. Ich nehme an, du kannst dir vorstellen warum.«
    Morgado versuchte es, aber konnte keine befriedigende Erklärung finden. Harry musste sie ihm geben. »Damit man ihn in Frieden ließ, falls man ihn doch entdeckte.«
    »Verstehe ich nicht.«
    »Der Gnadenschuss war ein Markenzeichen der chemitas, deiner Pistolenhelden mit Dienstmarke. Ein Zeichen in der Art: ›Lass meine Leichen in Frieden, sonst kannst du ihnen bald Gesellschaft leisten.‹«
    »Ah ja, alles klar.«
    Harry nickte, ohne sein unheimliches Lächeln abzulegen. »Nun, es ist ein Zeichen, dass du häufiger beachten solltest, Morgado.«
    »Ist das ein Rat oder eine Drohung?«
    Harry trank langsam seinen Whisky aus. »Wie du sagst: Wir haben eine Freundschaft mit zwei verschiedenen Namen.«
    »Das habe ich nie gesagt!«, protestierte Morgado.
    »Ich schon«, sagte der FBI-Agent. »Also beherzige meinen Rat und vergiss meine Drohung nicht! Beide haben denselben Zweck: dir unnötige Gefahren und ungelegene Zwischenfälle zu ersparen.«
     
21
     
    Nach sechsmaligem Klingeln ging Doktor Saúl López Hidalgo ans Telefon. »Ja, bitte?«
    »Doc, ich bins, Morgado.«
    »Licenciado, was kann ich für Sie tun?«
    »Eine Frage: Haben Sie die Überreste von Doktor Islas?«
    »Ja. Sie sind hier. In einem speziellen Kobaltbehälter. Wir haben sie bereits pulverisiert.«
    »Und wenn Sie sie in eine Bleiurne füllten und sie versiegelten, würde dann Radioaktivität nach außen dringen? … Doc, sind Sie noch da?«
    »Ja, ich bin da. Lassen Sie mich überlegen … na ja … Theoretisch müsste die Urne die Strahlung abhalten.«
    »Könnten Sie mir so eine Urne beschaffen und sie versiegeln?«
    »Das ist schon die dritte Frage.«
    Morgado konnte sich das genervte Gesicht des Radiologen in dem Moment vorstellen. Aber er hatte keine Wahl. »Sie wissen doch, Doc, man sollte Anwälten nie vertrauen.«
     
22
     
    Juanita öffnete die Tür und ließ ihn eintreten.
    »Und der Meister?«
    »Ist Leinwand kaufen.«
    »Kann ich auf ihn warten?«
    »Selbstverständlich.«
    Juanita fragte ihn nicht einmal, ob er etwas trinken wolle, sondern stellte ihm einfach eine große Tasse Kaffee hin.
    »Das mit dem Füller tut mir sehr leid.«
    »Es tut mir leid, dass ich mich letztes Mal so aufgeführt habe.«
    »Kannten Sie Doktor Islas gut?«
    Juanita seufzte. »Er war der Arzt meines Vaters, der ihn gegen Gicht und Arthrose behandelte. Ich begleitete ihn jeden Monat in die Sprechstunde. Servando war so etwas wie ein Idol für mich. Er verstand so viel von Kunst und Kultur wie kein Zweiter. Er war natürlich viel älter als ich, aber für ein fast fünfzehnjähriges Mädchen war er die Verkörperung all seiner Liebesfantasien. Aber es waren eben nur Fantasien, nicht mehr. Denken Sie nichts Schlechtes!«
    Morgado unterbrach den Erinnerungsfluss nicht.
    »Dann lernte ich Rubén kennen und hatte nur noch Augen für den Maler aus Jalisco, wie ihn damals Salvador Romero und Manuel Aguilar nannten, seine Malerkumpel.«
    »Wann haben Sie Doktor Islas zuletzt gesehen?«
    »Im Januar 1956. Eine Woche vor seinem Verschwinden. Es ging ihm … na ja, er sah schlechter aus als mein Vater. Abgemagert, verschwitzt, gerötete Augen. Als wir die Praxis verließen, sagte mein Vater zu ihm: ›Sie sollten weniger ausgehen, Doc‹, und der lächelte gezwungen. ›Das sind alles Abschiedsfeiern‹, sagte er. Aber wir sind doch schon im neuen Jahr‹, sagte Papa zu ihm, ohne den tieferen Sinn der Worte seines Hausarztes und meines Mäzens zu verstehen.«
    In dem Moment beschloss der Anwalt, ihr die Wahrheit zu erzählen, wenn auch ohne unappetitliche Details. Als er geendet hatte, weinte Juanita still an seiner Schulter.
    Als Rubén García Benavides mit Leinwand und Farbtöpfen zurückkehrte, waren sie bereits bei der dritten Tasse Kaffee.
    »Ich dachte, Sie wären schon wieder in Mexico City«, sagte der Maler.
    »Ich auch. Aber ich bin immer noch hier, unter Migranten und
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