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Tijuana Blues

Tijuana Blues

Titel: Tijuana Blues
Autoren: Gabriel Trujillo Muñoz
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gewährt. »Ich zahle, Sie werden sehen. In einer Woche.«
    Die Frau hatte ihm den Rücken zugedreht. Er nutzte die Gelegenheit, um das Zimmer zu verlassen. Die beiden Leibwächter der Frau sahen zu, wie er sich über den Flur zur Ausgangstür auf die Gasse bewegte.
    Die Frau nahm die Glocke und läutete heftig. Sogleich trat, ohne zu klopfen, ein junges Mädchen ein. Sie war schlank und muskulös und schien sich völlig geräuschlos zu bewegen. »Zu Befehl, Chefin.«
    »Lad ihn auf etwas ein, mach dich an ihn heran, und dann nimmst du ihn mit aufs erstbeste Hotelzimmer. Es soll ein Exempel sein. Eine Warnung. Alle sollen wissen, bei mir zahlt man lieber pünktlich, wenn man am Leben hängt.«
    »Kann ich mit ihm vögeln?«
    »Er ist zu fett und zu alt für dich, mein Kind. Aber es ist deine Entscheidung. Der Mistkerl ist tot mehr wert als lebend.«
    Das Mädchen lief hinter dem Mann her.
    Die Frau schloss die Augen und lächelte in Vorfreude dessen, was bald geschehen würde.
     
3
     
    Morgado, graue Augen, helle Haut, Levis-Jeans und schwarzes Hemd, stieg aus dem Taxi und machte sich, den Kofferträgern des Flughafens von Mexico City ausweichend, auf den Weg zum Schalter von Mexicana de Aviación, um für den Flug nach Mexicali einzuchecken.
    Der Gedanke an Mexicali rief in ihm automatisch bestimmte Bilder wach. Seine Kindheit, das Grab seiner Mutter, die Wahnvorstellungen seines Vaters, die Grenze und den Stacheldrahtzaun. Und mit diesen Bildern kamen die Abneigung, die vergessenen Bindungen, die Entfremdung. Sein Leben drehte sich nicht mehr um dieses ferne Land im Norden, um die Wüsten, den feuerroten Horizont. Aber die Wurzeln waren nicht ganz abgeschnitten. Die alten Gefühle würden wieder an die Oberfläche kommen, wenn er seine Geburtsstadt besuchte. Wohin kehre ich zurück, fragte er sich, warum habe ich zugesagt, meinem alten Kumpel Atanasio zu helfen?
    Nachdem er eingecheckt hatte, musste Morgado wie üblich bei Gate 7 noch eine Stunde warten. Er vertrieb sich die Zeit damit, den Gesprächen der Mitreisenden zuzuhören. Eine Gruppe von Damen der mexikanischen High Society, die begeistert über ihren letzten Karibik-Urlaub plauderten. Morgado hätte aufgrund der Beschreibungen der Strände vermutet, dass sie in Puerto Rico oder Jamaica gewesen waren, aber zu seiner Überraschung sprachen sie über Kuba.
    Dann war da noch eine Rockband aus der Hauptstadt, die zum dritten Mal in einem Monat in Mexicali auftrat (»Das Publikum da ist echt heavy. Die stehen drauf, wenn wir die Gitarren auf ihren Köpfen zerschlagen, und sie schreien immer noch nach mehr.«); ein Priester, der in der Bibel las und sich währenddessen die komplette Liedsammlung von Juan Gabriel auf dem Walkman anhörte; ein Fotograf, der eine Bildreportage über die Grenze machen wollte und unter diesem Vorwand Fotos von den Mädchen im Minirock machte. Kleinen Nymphen, die die Rockmusiker fragten, in welchem Hotel sie absteigen würden (»Wir wollen eure Groupies sein!«). Und die Mütter der Nymphen, die den Fotografen bedrängten, einmal nackt für ihn posieren zu dürfen.
    »Und was machen Sie?«, wurde Morgado von einem dickbäuchigen Mann gefragt, der ein Shirt mit dem Aufdruck ›Desert Storm‹ trug.
    »Ich bin Rechtsanwalt.«
    »Ich habe Sie nicht nach Ihrem Beruf gefragt, sondern in welcher Angelegenheit Sie gerade unterwegs sind.«
    »In keiner.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Das ist schlecht. So bringt man es zu nichts. Um zu leben, muss man Perspektiven haben.«
    Morgado wusste nicht, was er sagen sollte.
    »Perspektiven«, wiederholte der Dickbäuchige. »Denken Sie an meine Worte.«
    Morgado dachte, es sei immer noch früh genug, die Reise abzublasen, sein Ticket zurückzugeben. Aber in dem Moment hörte er über Lautsprecher die Aufforderung zum Boarding.
    Die Götter waren immer sehr streng mit mir, dachte Morgado mit einer Mischung aus Resignation und Fatalismus.
     
4
     
    »Dieselbe Sonne, dasselbe Klima«, sagte Morgado.
    Atanasio nahm die Umgehung und fuhr dann weiter auf der parallel zur Rollbahn verlaufenden Straße. Die kalifornischen Felder des Valle Imperial tauchten auf.
    »Aber die Stadt ist nicht mehr dieselbe.«
    »Sie ist gewachsen, vermute ich, wie ganz Mexiko.«
    »Ja, aber anders. Das hier ist ein Experiment in Hochgeschwindigkeit.«
    »Vor ein paar Stunden dachte ich noch, dass es mir gefällt, wieder in Mexicali zu sein. Im Warteraum bekam ich plötzlich Panik. Ich sagte mir: ›Das Fremdartige, der
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