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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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nicht, dass ich das erwartet hätte, aber trotzdem.
    Ich gehe in den Flur und ziehe meine Chucks an.
    Meldest du dich, wenn ihr so weit seid, ruft Rainer aus dem Wohnzimmer.
    Ja, sage ich und öffne die Haustür.
    Ich laufe über den Spielplatz und klingle bei Jameelah.
    Sie steht oben in der Wohnungstür, barfuß, die Haare nach hinten gesteckt, so lang sind die inzwischen.
    Hallo, sagt sie, als ich das letzte Stück Treppe hochgehe.
    Hallo, sage ich.
    In den leeren Zimmern hallt es. Keine Ahnung, wie Noura und Jameelah es geschafft haben, die Wohnung komplett auszuräumen und nebenbei auch noch zur Schule zu gehen und zu arbeiten. Noura wollte es so, ich will, dass bis zum letzten Tag alles so normal wie möglich läuft, hat sie gesagt, und niemand soll davon wissen, sie hat gesagt, es ist schon schlimm genug für uns, ich will mich dafür nicht auch noch schämen müssen.
    Jetzt ist die Wohnung leer, nur die Hausschlüssel liegen auf der blank gewischten Arbeitsplatte in der Küche und daneben der Brief von der Ausländerbehörde. Er ist zweimal in der Mitte gefaltet, sodass man den mittleren Teil lesen kann. Ich brauche ihn nicht noch mal zu lesen, ich kenne den Brief auswendig, ich habe ihn bestimmt hundertmal gelesen, ich habe ihn sogar abgeschrieben und bin damit beim Kotz-Krüger gewesen. Davon weiß Jameelah nichts, ich bin ja auch nur hin, weil ich so verzweifelt war, und der Kotz-Krüger sich doch für die Menschenrechte einsetzt. Ich habe gewartet, bis Lukas und Tobi und Nadja und alle anderen weg waren, und dann bin ich rein in die Teestube, in der hat es wie immer nach verfaulter Welt gerochen, aber ich habe versucht, durch den Mund zu atmen, damit ich es nicht riechen muss.
    Der Kotz-Krüger war am Anfang eigentlich voll nett, er hat seine Lesebrille genommen und den Brief gelesen, aber danach hat er mich angeschaut und den Kopf geschüttelt.
    Was kann man dagegen machen, habe ich gefragt.
    Der Kotz-Krüger hat seine Lesebrille auf die Couch geschleudert und gesagt, da kommst du erst jetzt?
    Ich habe mal wieder nur Bahnhof verstanden.
    Wieso, habe ich gefragt, wann denn sonst?
    Jetzt ist es zu spät, hat der Kotz-Krüger gesagt und auf den Brief gezeigt, ihr hättet doch schon viel früher zu mir kommen sollen, diese Behörden, hat der Kotz-Krüger gesagt, sind kalt und gefühllos, denen geht es doch nicht um die einzelnen Menschen, das ist doch nur ein Vorgang für die, solche Leute, die muss man mit ihren eigenen Paragrafen schlagen, aber dafür braucht man Zeit, Mensch, Mädchen, ich war doch hier, den ganzen Sommer.
    Hier, sagt Jameelah und gibt mir einen Zettel, das ist Amirs neue Adresse.
    Von diesem Heim?
    Ja. Ist aber gar nicht so schlimm, ich war dort, die Leute haben zwar alle einen an der Falafel, aber die Betreuer sind in Ordnung. Ist nur so lange, bis der Prozess vorbei ist, dann kann er wieder zu seiner Mutter.
    Noura kommt in die Küche.
    Wir müssen los, sagt sie.
    Ich rufe zu Hause an, und kurz darauf steht Rainers Taxi vor der Tür. Er räumt das Gepäck in den Kofferraum, dann hält er Noura die Autotür auf. Jameelah und ich kriechen auf den Rücksitz.
    Wart ihr denn schon mal am neuen Flughafen, fragt Rainer und rückt den Spiegel an der Windschutzscheibe zurecht, ist derzeit die größte Flughafenbaustelle Europas.
    Nein, sagt Noura und lächelt müde.
    Ich schaue aus dem Fenster. Am Himmel ziehen Vögel vorbei, ich tippe Jameelah an und zeige nach draußen.
    Kraniche, sagt sie mit fachmännischem Blick, Kraniche und dahinter, sagt sie und zeigt durch das Kofferraumfenster, Schwalben.
    Von Weitem kann man schon den Flughafen sehen.
    Ob der irgendwann mal fertig wird, sagt Rainer und schüttelt den Kopf, er biegt in den Wendekreis ein und hält vor dem Hauptgebäude. Er steigt aus und holt die Koffer aus dem Kofferraum.
    Vielen Dank für die Fahrt, sagt Noura und hält Rainer einen Geldschein hin.
    Nein, sagt Rainer, ist schon in Ordnung, stecken Sie das mal wieder ein. Wer weiß, wofür Sie es noch gebrauchen können.
    Nein, sagt Noura, ich bestehe darauf.
    Ich will es aber nicht, sagt Rainer.
    Gut, dann geben wir es den Kindern, sagt Noura und reicht mir das Geld, dann nimmt sie die Koffer.
    Auf Wiedersehen und vielen Dank.
    Keine Ursache, sagt Rainer und setzt sich zurück ans Steuer.
    Warte hier auf mich, rufe ich ihm zu und laufe hinter Jameelah und Noura ins Flughafengebäude.
    Noura schaut auf die Uhr.
    Wir haben noch Zeit, sagt sie, aber besser zu früh als zu spät. Habt
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