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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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ich mir einen Büchereiausweis machen, sogar Orkhan und Tayfun haben einen, aber nur damit sie, wenn ihnen langweilig ist, die Integrationsbeauftragten dort ärgern können, aber ich werde niemanden dort ärgern, denke ich, ich werde mir dort jede Woche was ausleihen, bis ich endlich mal was besser weiß als Jameelah.
    Ich kann das nicht meinen Eltern erzählen, sagt Anna-Lena, wenn die das erfahren, die nehmen mich von der Schule, die stecken mich auf so einen Nonnenbunker in Bayern, das wollen sie die ganze Zeit schon machen.
    Jameelah schaut auf die Uhr.
    Los, sagt sie, wir fahren zum Kotti.
    Zum Kotti, fragt Anna-Lena, was wollen wir denn da?
    Wir fahren zu meiner Mutter, sagt Jameelah, sie wird dir helfen.
     
     
    Ich war noch nie bei Noura in der Klinik. Dort werden nur Frauen operiert, Frauen die schwanger sind und das Kind nicht haben wollen, oder Frauen, die gar nicht erst schwanger werden wollen. Es kommen aber auch Frauen, die sich etwas in den Hintern oder vorn reingeschoben haben und das von selbst nicht mehr rauskriegen. Jameelah hat mir mal erzählt, dass es in der Klinik eine spezielle Kiste gibt, da kommen die Sachen rein, die man den Frauen mit der Zeit rausoperiert hat, alles, vom Schraubenzieher bis zur Neonröhre, landet da drin, alles Sachen, auf die die Frauen angeblich draufgefallen sind. Das fand ich eigentlich immer lustig, aber als Jameelah, Anna-Lena und ich schweigend die Oranienstraße runter zur Klinik gehen, ist mir so gar nicht nach Lachen.
    Mir ist schlecht, sagt Anna-Lena und hält sich den Bauch, ich brauche was zu trinken.
    Kannst gleich was trinken, sagt Jameelah.
    Nein, was Richtiges. Was Kurzes, was Klares. Kleiner Feigling, ich brauche einen kleinen Feigling.
    Gibt jetzt keinen kleinen Feigling, sagt Jameelah.
    Sie packt Anna-Lena am Arm und zieht sie über den Zebrastreifen, rüber zum Eingang von der Tagesklinik. Feste drückt sie auf den untersten Klingelknopf. Der Türsummer geht.
    Los, sagt Jameelah und schubst Anna-Lena durch die Tür. Wir gehen durch den Flur in den Hinterhof. Hinter einem der Fenster sehe ich Noura sitzen.
    Mama, ruft Jameelah und rennt los.
    Noura schaut hoch und läuft erschrocken zur Tür.
    Kinder, sagt sie, was ist denn, ist was passiert?
    Ohne zu überlegen, erzählt Jameelah alles. Sie erzählt und erzählt und macht dabei ganz viel mit ihren Händen, und Noura nickt und streicht Anna-Lena über die Haare, aber streng aussehen, das tut Noura dabei auch noch, sie schaut uns alle abwechselnd streng an, am strengsten natürlich Anna-Lena. Wie Noura das immer macht, alles gleichzeitig, immer richtig, das hat Jameelah wohl von ihr geerbt, denke ich.
    Noura nimmt Anna-Lena in den Arm.
    Du kommst jetzt erst mal mit mir, sagt sie, wir machen ein paar normale Untersuchungen, und danach untersucht Doktor Mahmoudi dich, und ihr, sagt Noura und schaut Jameelah und mich an, ihr wartet so lange.
    Das Wartezimmer ist leer. Müde lasse ich mich auf einen Stuhl sinken. Jameelah schnappt sich eine der Zeitschriften, die auf dem Tisch liegen und blättert darin, sie blättert und blättert, blättert viel zu schnell, so schnell kann man gar nicht lesen, so schnell kann man sich noch nicht einmal die Bilder auf den einzelnen Seiten anschauen.
    Kannst du mir mal bitte sagen, wieso wir das hier machen, frage ich irgendwann.
    Was?
    Warum helfen wir ihr? Wegen Lukas?
    Hör auf, sagt Jameelah, ich will nicht über ihn reden, ich will noch nicht mal an ihn denken, sonst muss ich mich umbringen, ehrlich.
    Wegen so einem Idioten doch nicht. Den hast du gar nicht nötig.
    Nötig? Was soll das denn heißen?
    Na ja, der ist ja wohl spätestens seit heute ein Arschloch, oder.
    Was weißt du denn schon, sagt Jameelah.
    Ich meine ja nur.
    Einen Scheiß meinst du, du sagst doch einfach nur das, was alle jetzt sagen würden, sagt Jameelah, dabei fällt ihr die Zeitschrift auf den Boden.
    Was soll das denn jetzt heißen, sage ich.
    Dass du keine Ahnung hast von der Liebe, sagt Jameelah.
    Aber du oder was.
    Ja, weil wenn man jemanden wirklich liebt, dann kann man daran nichts ändern, egal, wie scheiße der einen behandelt. Und dass man daran nichts ändern kann, dafür kann man auch nichts.
    Ich weiß, sage ich, ich meine, klar kannst du nichts dafür, aber du kannst doch nicht jemanden lieben, der dir so wehtut. Der hat das doch gar nicht verdient.
    Natürlich kann ich das, siehst du doch, sagt Jameelah, und überhaupt, was geht dich das an, was geht das Anna-Lena an, das geht
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