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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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noch nicht einmal Lukas was an, dass ich ihn liebe, ich darf lieben, wen ich will, er muss mich gar nicht zurücklieben, aber ich darf ja wohl lieben, wen ich will, das kann mir keiner verbieten.
    Sicher darfst du das. Ich will ja nur nicht, dass dir jemand wehtut.
    Das kann man nicht verhindern, das passiert sowieso, sagt sie und hebt die Zeitschrift vom Boden auf, aber dass sie ein Kind von ihm bekommt, das kann ich vielleicht verhindern.
    Die Tür zum Wartezimmer geht auf, Anna-Lena kommt herein.
    Und, fragte Jameelah.
    Nichts, sagt Anna-Lena, Blutdruck gemessen und so was. Gleich soll ich zu dieser Frau, wie heißt die noch mal?
    Jameelah zieht die Augenbrauen zusammen.
    Mahmoudi, Doktor Mahmoudi.
    Mahmoudi, genau. Wartet ihr?
    Ich schaue Jameelah an.
    Ja, sagt Jameelah, wir warten.
     
     
    Mein linkes Bein ist schon seit einer Weile eingeschlafen, kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, dass Anna-Lena im Behandlungsraum ist. Die Zeitschriften haben wir jetzt schon alle durch. Ich schaue an die Decke vom Wartezimmer. Noura hat vorhin das Licht angeknipst. Ich schaue zu den Neonröhren, an denen Mücken und Eintagsfliegen tanzen. Die Mücken und Eintagsfliegen summen mit den Neonröhren um die Wette.
    Guck mal, sage ich und zeige nach oben, die lassen da oben einfach die Zeit vorbeitreiben, obwohl sie so viel weniger davon haben als wir hier unten.
    Ja, sagt Jameelah, die sind wie echte Götter.
    Götter?
    Ja. Die kennen keine Zeit, die kennen nur Licht und Obst und Blut, und irgendwann, da sterben sie einfach, ohne sich Gedanken über ihr Leben machen zu müssen, ob sie es gut oder schlecht gemacht haben.
    Kennst du den, sage ich, treffen sich zwei Eintagsfliegen, sagt die eine, hast du Lust auf nen Fick, sagt die andere, nee, ich hab grad meine Sekunde.
    Verstehe ich nicht.
    Na ja, Eintagsfliege hat ihre Tage.
    Verstehe ich immer noch nicht.
    Mann, eine Eintagsfliege hat nicht ihre Tage, sondern ihre Sekunde, kapiert.
    Ach so, sagt Jameelah und schaut weiter an die Decke, wirklich zuhören tut sie gar nicht.
    Was ist, frage ich, woran denkst du?
    Kannst du dich noch daran erinnern, was Jasna auf dem Balkon gebrüllt hat, was sie zu ihrer Mutter gesagt hat, bevor sie gesprungen ist?
    Ja, sie hat gesagt, zuerst zerrst du mich hierher auf diese Welt, und dann lässt du mich allein.
    Ich glaube, das stimmt, sagt Jameelah.
    Was?
    Dass wir hierhergezerrt werden, auf diese Welt. Ich meine, keiner fragt dich danach, keiner fragt dich, ob du das überhaupt willst.
    Ja, sage ich, stimmt.
    Das ist vielleicht auch der Grund, warum Babys immer so viel schreien, sagt Jameelah, weil keiner sie gefragt hat, ob sie hierherwollen, und weil sie noch so nah dran sind an dem, was davor war, weinen sie so viel, weil sie es nicht ertragen, auf der Welt zu sein.
    Stimmt, sage ich, und wenn Mütter ihre Kinder beruhigen, dann ist das eigentlich eine große Lüge, weil sie versuchen, das Leben erträglicher zu machen, so nach dem Motto, ist alles nicht so schlimm, guck doch mal hier, deine Rassel.
    Genau, sagt Jameelah, aber die Babys wissen es besser, und die wollen lieber wieder dahin zurück, wo sie hergekommen sind.
    Meinst du so wie bei Wiedergeburt?
    Weiß nicht, jedenfalls ist man ziemlich unfreiwillig auf der Welt, sagt Jameelah.
    Die Tür vom Wartezimmer geht auf, Dr. Mahmoudi und Anna-Lena kommen herein.
    Und, fragt Jameelah.
    Ich muss nach Hause, sagt Anna-Lena, sie hält einen Briefumschlag hoch, ich muss mit meinen Eltern reden.
    Bist du echt schwanger, frage ich.
    Anna-Lena nickt.
    Was ist da drin, frage ich.
    Unterlagen für die Abtreibung.
    Schwangerschaftsabbruch, sagt Dr. Mahmoudi und nimmt Anna-Lena in den Arm, aber Anna-Lena wehrt ab.
    Die schicken mich auf diesen Nonnenbunker, das weiß ich genau.
    So ist das Gesetz, sagt Dr. Mahmoudi, tut mir leid.
    Noura kommt ins Wartezimmer, sie trägt eine Jacke und ihre Handtasche über dem Arm.
    Es ist schon spät, wir müssen los, sagt sie, ihr wisst doch, Amir mag es nicht, allein zu sein.
    Schläfst du heute bei uns, fragt Jameelah und schaut mich an.
    Klar, sage ich.
     
     
    Wo wart ihr, ruft Amir, als Noura die Wohnungstür aufschließt, die Struck ist stinksauer auf euch, sie hat gesagt, ihr bekommt eine Klassenkonferenz. Ihr fliegt von der Schule, hat sie gesagt.
    Wo sind unsere Schulsachen, fragt Jameelah.
    Habe ich in mein Schließfach getan, wo wart ihr?
    Es ist schon gut, sagt Noura und umarmt Amir, hast du was gegessen?
    Amir schüttelt den Kopf. Noura hängt
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