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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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ihren Mantel an die Garderobe und geht in die Küche.
    Wo wart ihr, fragt Amir wieder.
    Ist doch egal, sagt Jameelah.
    Gar nicht egal, sag doch mal!
    Nein, sagt Jameelah.
    Habt ihr euch wieder vertragen, fragt er.
    Jameelah und ich schauen uns an.
    Glaub schon, sagen wir gleichzeitig.
    Dann ist es egal, wo ihr wart, sagt Amir und grinst breit.
    Er zeigt auf den kleinen Tisch, auf dem das Telefon steht.
    Da ist übrigens ein Brief gekommen.
    Ein Brief?
    Ja, sagt er, vom Ausländeramt.
    Mama, ruft Jameelah, da ist ein Brief gekommen, vom Ausländeramt!
    Noura kommt in den Flur.
    Da, sagt Amir und zeigt auf den Tisch. Noura greift nach dem Brief, sie geht zurück in die Küche, wir hinterher. Als sie sich an den Küchentisch setzt und den Umschlag aufreißt, sehe ich, dass ihre Hand zittert.
    Und, fragt Jameelah.
    Ich schaue auf Nouras Schultern und ihren Rücken, der immer ganz gerade ist, auch wenn sie sitzt. Sie legt den Brief vor sich auf den Küchentisch stützt den Kopf in ihre Hände und beginnt zu lesen. Plötzlich werden ihre Schultern ganz schmal, noch schmaler, immer schmaler, und ihr sonst so gerader Rücken sinkt ein, noch mehr, immer tiefer, bis es irgendwann so aussieht, als hätte Noura gar kein Skelett mehr, als hätte ihr jemand nach und nach alle Knochen aus dem Körper entfernt. Sie legt den Kopf auf die Tischplatte und fällt in sich zusammen, wie ein Heißluftballon, der nicht mehr kann, einer, der sagt, ich will mich nicht mehr aufblähen und aufsteigen, ich will euch nicht mehr tragen, niemanden mehr, tragt euch doch alle selber.
    Was ist los, frage ich.
    Ja, sagt Amir, was ist los?
    Jameelah zerrt den Brief unter Nouras Kopf hervor und liest, dann lässt sie den Brief auf den Boden fallen und rennt raus in den Flur. Krachend fällt die Wohnungstür ins Schloss.
    Warte, schreie ich.
    Ich renne, so schnell ich kann, die Treppen runter, aber als ich vor der Haustür stehe, sehe ich Jameelah auf der anderen Seite vom Spielplatz verschwinden. Ich renne über den Spielplatz in Richtung Bahnhalte. Der Bahnsteig ist leer. Ich schnappe nach Luft, kurz denke ich, ich ersticke, so sehr tut meine Lunge weh. Ich muss unbedingt aufhören zu rauchen, denke ich, und dass das ein beschissener Gedanke ist, dass ich noch viel zu jung bin, um solche Gedanken zu haben. Es ist noch nicht die Zeit, mit dem Rauchen aufzuhören, es ist noch nicht die Zeit, mit dem Trinken aufzuhören, es ist noch nicht die Zeit, mit irgendetwas aufzuhören, Jameelah und ich, wir haben doch gerade erst wieder angefangen, jetzt, wo alles wieder gut ist, wo Amir wieder da ist und Anna-Lena bald weg in ihrem Nonnenbunker.
    Ich fahre mit der Bahn bis zur Wilmersdorfer und laufe rüber zum Planet. Der Himmel ist dunkel geworden, die Wolken hängen grau und schwer runter bis auf die Hausdächer. Am Planet ist niemand außer Apollo und Aslagon. Sie beladen einen Einkaufswagen mit jeder Menge Zeugs, alte Decken, Flaschen, Plastiktüten. Oben auf dem Wagen steht ein Radio und dröhnt vor sich hin. Die ersten Regentropfen klatschen auf die Straße.
    Habt ihr Jameelah gesehen, rufe ich.
    Apollo schüttelt den Kopf.
    Nicht gesehen, sagt er, dann schaut er rauf zum Himmel und zieht sich seine schwarze Kapuze ins Gesicht.
    Los, sagt Aslagon und schiebt den Einkaufswagen an.
    Was macht ihr, frage ich, wo geht ihr hin?
    Wird kalt, sagt Apollo und schaut wieder rauf zum Himmel, wir gehen ins Warme, mal frische Wäsche anziehen und ein Dach überm Kopf haben. Der Sommer ist vorbei.
    Aslagon nickt.
    Was ist mit dem Schiff, sage ich, was ist mit Naglfar und dem Ende der Welt?
    Apollo schaut mich an und lächelt, dann nimmt er seinen Helm ab, wie zum Gruß.
    Wir sehen uns im nächsten Jahr, sagt er.
    Langsam wie eine Karawane in der Wüste setzen sich Apollo, Aslagon und der Einkaufswagen in Bewegung. Kurz darauf stehe ich ganz allein am Planet, ich weiß nicht, wo ich hinsoll, der Regen wird immer stärker und prasselt auf mich nieder. Keine Ahnung, wie lange ich da stehe, jedenfalls bin ich schon lange klitschnass, als jemand mir von hinten auf die Schulter tippt. Es ist Nico.
    Spinnst du eigentlich, sagt er und zerrt mich in die Telefonzelle, du kannst doch bei dem Wetter hier nicht einfach so rumstehen, sagt er, willst du dich umbringen?
    Nein, sage ich, ich suche Jameelah.
    Die war eben an der Kurfürsten, sagt Nico.
    An der Kurfürsten?
    Ja, da, wo die Nutten immer stehen. Keine Ahnung, was sie da gemacht hat, sah auf jeden Fall ordentlich durch den
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