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Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Titel: Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
Autoren: Donna Leon
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gestern Nacht, irgendwann nach Mitternacht, würde ich sagen. Genauer geht’s nicht, weil er im Wasser gelegen hat.«
    Brunetti, immer noch auf halbem Weg zwischen Tisch und Tür, sah von einem zum anderen. »Was ist mit seinem Gesicht passiert?«, fragte er. Der Tote war so entstellt, dass es schwierig würde, ihn auf einem Foto wiederzuerkennen – beziehungsweise es nur schon schwierig wäre, sich ein Foto dieses zerschlagenen, aufgedunsenen Gesichts überhaupt anzusehen.
    »Ich vermute, er ist nach vorn gestürzt, als auf ihn eingestochen wurde. Wahrscheinlich war er so überrumpelt, dass er den Sturz nicht einmal mit den Händen abfangen konnte.«
    »Kannst du ein Foto machen?«, wollte Brunetti wissen, der sich fragte, ob Rizzardi die Verletzungen wenigstens zum Teil kaschieren konnte.
    »Du willst Leuten diesen Anblick zumuten?« Die Antwort gefiel Brunetti nicht, auch wenn es eine ehrliche Antwort war. Nach kurzem Überlegen fügte der Pathologe hinzu: »Versuchen kann ich’s ja.«
    Brunetti fragte: »Und weiter?«
    »Ich würde sagen, er ist Ende vierzig, einigermaßen gesund, arbeitet nicht mit den Händen, aber das ist auch schon alles.«
    »Was ist mit seinem merkwürdigen Körperbau?«, fragte Brunetti und trat näher.
    »Du meinst seine Brust?«, fragte Rizzardi.
    »Und den Hals.« Brunetti wies darauf.
    »Das nennt man Madelung-Syndrom«, erklärte Rizzardi. »Ich habe davon gelesen und im Studium davon gehört, aber gesehen habe ich es noch nie. Nur auf Abbildungen.«
    »Kennt man die Ursache?«, fragte Brunetti, jetzt dicht neben dem Toten.
    Rizzardi zuckte die Schultern. »Nicht dass ich wüsste.« Als könne er eine solche Antwort nicht mit seiner Berufsehre vereinbaren, fügte er rasch hinzu: »Häufig spielt Alkoholismus eine Rolle oder Drogenkonsum, aber nicht in diesem Fall. Er war kein Trinker, absolut nicht, und Hinweise auf Drogenkonsum habe ich auch nicht festgestellt.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Gott sei Dank bekommen das nur die wenigsten Alkoholiker, aber die meisten Männer, die es bekommen – und es sind fast immer Männer –, sind Alkoholiker. Auch wenn die Zusammenhänge nicht geklärt sind.«
    Rizzardi trat näher und zeigte auf eine besonders dicke Stelle im Nacken; für Brunetti sah es fast wie ein kleiner Höcker aus. Bevor er nachfragen konnte, fuhr Rizzardi fort: »Das ist Fettgewebe. Das Fett sammelt sich dort an«, er wies auf den Höcker. »Und dort auch.« Er zeigte auf die Wölbung unter dem weißen Tuch, wo am Körper einer Frau die Brüste gewesen wären.
    »Es beginnt zwischen dreißig und fünfzig und konzentriert sich auf die obere Körperhälfte.«
    »Du meinst, es wächst einfach so?«, fragte Brunetti, der sich das vorzustellen versuchte.
    »Ganz recht. Manchmal auch an den Oberschenkeln. In seinem Fall nur an Hals und Brust.« Er schwieg nachdenklich und fügte dann hinzu: »Am Ende sehen sie aus wie Fässer, die armen Kerle.«
    »Gibt’s das oft?«, fragte Brunetti.
    »Nein, durchaus nicht. Soweit ich weiß, sind in der Literatur nur ein paar hundert Fälle erwähnt.« Er hob die Schultern. »Wir wissen im Grunde nur sehr wenig darüber.«
    »Sonst noch etwas?«
    »Er wurde über eine rauhe Oberfläche geschleift«, sagte der Pathologe, indem er Brunetti ans untere Ende des Tischs führte und das Laken anhob. Er wies auf die aufgeschürfte Ferse des Toten. »Am Kreuz sieht es ähnlich aus.«
    »Das heißt?«, fragte Brunetti.
    »Jemand hat ihn unter den Schultern gepackt und über den Boden gezogen, würde ich sagen. Kein grobkörniges Material in den Wunden, also dürfte es sich um einen nackten Steinfußboden gehandelt haben.« Zur Verdeutlichung fügte Rizzardi hinzu: »Er trug nur einen Schuh, einen Slipper. Der andere ist vermutlich abgestreift worden.«
    Brunetti ging zum Kopf des Toten und sah auf das bärtige Gesicht hinab. »Hat er helle Augen?«, fragte er.
    Rizzardi konnte seine Verblüffung nicht verbergen. »Blau. Woher weißt du das?«
    »Ich hab’s nicht gewusst«, antwortete Brunetti.
    »Wie kommst du dann auf die Frage?«
    »Ich glaube, ich habe ihn schon mal gesehen«, sagte Brunetti. Er sah sich den Mann genau an, das Gesicht, den Bart, den mächtigen Nacken. Aber er kam nicht drauf; nur bei den Augen war er sich sicher.
    »Wenn du ihn schon mal gesehen hast, müsstest du dich an ihn erinnern.« In Anbetracht der Statur des Mannes leuchtete diese Bemerkung Rizzardis ein.
    Brunetti nickte. »Ich weiß, aber mir will partout nichts
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