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Tiefschlag

Tiefschlag

Titel: Tiefschlag
Autoren: John Baker
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offenem Mund, täuschte größere Erschöpfung vor, als er tatsächlich empfand. Wenn er jetzt einen Satz auf Franco machte, riskierte er, daß Franco das Mädchen losließ, bevor er sie erreichte. Das Mädchen würde dann die Dachschräge hinabrutschen, aber am Fuß der Schräge gab es eine niedrige Brüstung, ungefähr zehn Meter weiter unterhalb, die verhindern würde, daß sie über die Kante fiel.
    Vielleicht.
    Falls die Brüstung hielt.
    Der Augenblick der Entscheidung, sagte sich Sam. Wenn Franco das Mädchen noch ein paar Meter weiter brachte, würde es keine Brüstung mehr geben, die sie retten könnte. Wenn Sam sich jetzt zurückzog, bot sich vielleicht keine bessere Chance mehr, das Leben des Kindes zu retten.
    Während er noch mit dieser unmöglichen Gleichung kämpfte, hörte er hinter sich etwas. Franco hörte es auch und schaute an Sam vorbei das Dach entlang. Geordie war Sam aufs Mittelschiff gefolgt und kam jetzt über das Dach auf sie zu.
    «Zurück», brüllte Franco, und Geordie erstarrte. «Sag’s ihm», herrschte Franco.
    Sam brüllte Geordie zu, erklärte ihm, was los war, und Geordie wich zur Leiter zurück.
    «Jetzt du», sagte Franco. «Ich will, daß du dahin zurückgehst, wo er jetzt ist, und dann will ich sehen, wie ihr beide die Leiter hinunter verschwindet.»
    «Ich gehe ja schon», sagte Sam. Er stand auf, sah einen langen Moment in Francos Augen, wich aber keinen Zentimeter zurück. «Frank, es ist aus. Laß das Kind gehen, hier kommst du niemals runter.»
    «Du kannst mich mal.»
    «Ich gehe nicht ohne das Kind.»
    «Deine Entscheidung», sagte Franco. «Aber das Kind ist Geschichte, wenn du auch nur einen einzigen Schritt vorwärts machst.» Er schaute zu dem Mädchen hinab. «Sag’s ihm, Tilley. Sag dem Mann, daß ich’s ernst meine.»
    Sam sagte nichts. Das Mädchen hieß also Tilley. Was immer jetzt passierte, das würde er für immer und alle Zeiten wissen. Das Kind hieß Tilley. Er hielt Francos Blick, hoffte, den Mann irgendwie hypnotisieren zu können. Ihn zu lähmen. Eine Schlacht wurde ausgefochten, dort in den Augen. Eine Schlacht, die Sam gewann, denn er hatte nichts zu verlieren. Francos Selbstvertrauen bröckelte. Etwas von seiner Willenskraft wurde von Sam Turner usurpiert.
    Plötzlich verlor Franco die Beherrschung, er knurrte und begann Sam anzubrüllen, befahl ihm, sofort zurückzuweichen, andernfalls wäre das Kind tot. Das Zischen trat in seine Stimme. Er meinte es todernst, war sich bewußt, daß er in die Enge getrieben war, blieb aber dennoch wild entschlossen, auf gar keinen Fall zu kapitulieren.
    Als Sam ihn beobachtete, wurde er an die weiteste Entfernung auf der Welt erinnert - an die Entfernung zwischen seinen Ohren und Frank Squires’ Mund. Er wartete, bis Frank laut losbrüllte, dann stürzte er sich blitzschnell und entschlossen auf ihn. Er sah, wie das Mädchen von ihnen wegrutschte, nach links, hörte sie nach einem langgezogenen Ton mindestens zwei Oktaven über dem eingestrichenen C greifen.
    Sam hatte die Hände um Francos Hals. Die Haut des Kerls war kühl und naß, fühlte sich klamm an, und Sam verstärkte den Griff. Sam wollte Franco einfach nur so lange festhalten, bis Geordie Tilley vom Dach geschafft hatte. Er warf einen Blick nach links, um zu sehen, ob das Mädchen tatsächlich von der niedrigen Brüstung aufgehalten worden war.
    Jetzt war sie auf allen vieren, benutzte die Brüstung als Hilfe, um sich aufzurichten. Geordie konnte Sam nicht sehen, aber er spürte, daß sich der Junge zu dem Kind vorarbeitete.
    Franco wehrte sich heftig, lockerte Sams Griff und verlor dabei das Gleichgewicht. Sam spürte, wie er selbst abrutschte, die Dachschräge hinunter auf das Mädchen zu. Er griff verzweifelt nach allem, was ihm in die Quere kam. Erwischte Francos Beine. Franco befreite sofort mit einem Tritt ein Bein und benutzte dieses nun, um nach Sams Händen zu treten.
    Trotz des Schmerzes klammerte sich Sam an das Bein und schaffte es, auf die Knie zu kommen, dann auf die Füße. Wieder stürzte er sich auf Franco, warf sich mit seinem gesamten Gewicht nach vorn, spürte, wie er Franco die Luft aus der Lunge schlug, als er genau auf ihm landete. Woran auch immer Franco sich festgehalten hatte, jetzt ließ er es los. Beide rutschten langsam die Schräge hinunter auf die Brüstung zu.
    Sam wußte, daß man unmöglich gegen die Schwerkraft ankämpfen konnte, und entspannte sich. Während sie noch rutschten, kämpfte er weiter mit Franco, wollte
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