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Tiefes Land

Tiefes Land

Titel: Tiefes Land
Autoren: Carsten Steenbergen
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und dunkelblauer Krawatte begleitete Willem vom Anmeldungsgebäude zum Eingang des Demersluis, einer der sechs Gefängnistürme des Bijlmerbajes im Südosten von Amsterdam. Vor über vierzig Jahren hatte ein Redakteur der Vrij Nederland den Bau geringschätzig mit den Türmen von Babel verglichen. Nicht ganz zu Unrecht, wenn man es von außen betrachtete, dachte Willem.
    Ein Lift, der nur dem Wachpersonal und eventuellen Besuchern vorbehalten war, fuhr ihn durch die vierzehn Stockwerke nach oben. Vorbei an den Trakten mit den Arrestzellen für säumige Zahler und Leute, die vom Gericht zu einer Gemeinwohl-Arbeit verdonnert worden waren und nicht dazu antraten. Weitere Geschosse waren für ein spezielles Drogenprogramm reserviert, das Abhängigen die Möglichkeit bot, ihre Sucht freiwillig hinter Gittern zu bekämpfen. Im Grunde eher harmlose Zeitgenossen, verglichen mit den übrigen Straftätern. Willems Ziel lag in der Etage, in der die als besonders gefährlich eingestuften Insassen untergebracht waren.
    Der Wärter führte ihn wortlos eine Galerie entlang, die nur durch ein Geländer gesichert war. So bot sich Willem ein allumfassender Rundumblick. Jede Seite des offenen Doppelstockwerks wies von einem bis zum anderen Ende Zellen mit Metalltüren auf. Darin eingelassene, und jetzt verschlossene Klappen ermöglichten dem Personal bei Bedarf die Kontrolle der Hafträume. Ab und zu glaubte Willem neben dem Klang ihrer beider Schritte ein leises Geräusch auszumachen, deren Quelle hinter den verriegelten Türen zu liegen schien. Sonst hörte er nichts.
    »Ist es immer so still? Man könnte beinahe glauben, dass außer uns niemand hier ist«, fragte Willem den Wärter irritiert. Die Gefängnisse, die er bisher von innen gesehen hatte, waren stets mit Lärm und auch jeder Menge Dreck angefüllt gewesen. Vor allen die am Hindukusch und im Nahen Osten.
    »Still? Nein, nicht immer.« Der Mann schwieg abermals und war anscheinend auch nicht willens, Weiteres von sich zu geben.
    »Aha.« Willem sparte sich einen ausführlicheren Kommentar. Vermutlich würde jeder zusätzliche Versuch eh nichts bewirken. Konversation mit Besuchern gehörte im Demersluis wohl nicht zum guten Ton.
    Sie stoppten vor einer Tür am Ende des Flurs. Der Wärter zückte einen Schlüssel, sperrte auf und schickte sich an, den Verhörraum als Erster zu betreten. Willem hielt ihn mit einer Handbewegung auf. »Das wird nicht nötig sein. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, spreche ich allein mit dem Gefangenen.«
    Der Wärter hob desinteressiert die Achseln. »Ihre Entscheidung. Wir haben ihn fixiert. Falls er ausrastet. Klopfen Sie, sobald Sie mit ihm fertig sind.«
    »Das mache ich. Vielen Dank.«
    Willem machte einen Schritt vorwärts und blieb dann stehen. Hinter ihm schloss sich die Tür. Der Schlüssel drehte sich klickend um.
    »Ah, der Superagent. Ich habe mich schon gefragt, wann Sie endlich auftauchen.«
    »Sie haben mich erwartet. Erstaunlich«, stellte Willem trocken fest.
    De Hag schnaufte leise. Er saß an einem Tisch in der Mitte des Raumes. Sein Gesicht zierte eine dunkelblaue Prellung, zusammen mit einer versorgten Hautabschürfung an seiner Wange. Eine Folge seiner Festnahme. Die Handschellen klirrten verhalten, als er die Hand von der Tischplatte anhob, an die er festgekettet war. »Kommen Sie ruhig näher. Ich beiße nicht. Wo haben Sie denn Ihre hübsche Kollegin gelassen? Ich hatte meine Unterhaltung mit ihr gar nicht beenden können.«
    »Agentin Boyens hat anderweitig zu tun.« Willem setzte sich Peer de Hag gegenüber.
    »Wirklich, wirklich schade. Vielleicht ein anderes Mal dann.«
    »Sie meinen anscheinend ernsthaft, dass man Sie hier noch einmal heraus lässt.«
    »Was soll mir schon passieren? Ein paar Jahre«, winkte de Hag selbstgefällig ab. »Wenn überhaupt. Aber deswegen sind Sie sicher nicht gekommen. Um mit mir über eine mögliche Verurteilung zu sprechen.«
    »Nein, das ist in der Tat nicht der Grund für meinen Besuch. Mir spuken da so einige Fragezeichen im Kopf herum. Ich hoffe, Sie werden mich diesbezüglich erhellen.«
    »Es gibt tatsächlich Dinge, die Agent Willen van den Dragt an unserem kleinen Schlagabtausch nicht durchschaut hat? Es muss Sie schier wahnsinnig machen, so zu versagen. Habe ich recht?«
    »Kommen Sie. Sie sind überhaupt nicht der Typ für ein Selbstmordattentat.« Willem schlug bewusst einen väterlich belehrenden Unterton an, während er sich zurücklehnte. »Zu allem bereit, ja. Solange nur
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