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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz
Autoren: Arne Dahl
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Bei Kriegsende taucht er wieder auf, mehr oder weniger gebrochen. Trinkt immer mehr, kann sich auf verschiedenen Arztstellen in immer versteckteren Provinznestern nicht halten, kehrt schließlich nach Vasa zurück und wird ein Original, das bis ins hohe Alter von neunzig Jahren sein trauriges Leben führt. End of story.
    Glaubte Arto Söderstedt.
    Bis das Erbe kam.
    Das jetzt, unter anderem in Form einer ansehnlichen Menge von Wassermelonenstücken, verbraucht wurde, in einem Schatten, der immer gigantischer wurde. Die toskanische Frühlingssonne berührte zu diesem Zeitpunkt den deutlich gebogenen Horizont des ligurischen Meeres. Bald würde sie tief genug stehen, daß die kreideweiße Familie sich hinauswagen könnte, um zu baden.
    Wenn alle anderen – fröstelnd – den Strand verlassen hätten.
    Arto Söderstedt sah den alten Fischer seinen Stand mit Melonen zusammenpacken, einen verwunderten Blick auf die beschattete Familie werfen, den Kopf schütteln und davonziehen, um in seiner Stamm-Osteria ein Glas Wein zu trinken. Dort würde er von der sonnenscheuen Familie erzählen und Geld auf den Tisch legen, das einst einem ganz anderen Original an einem ganz anderen Ort Europas gehört hatte.
    Arto Söderstedt ließ sich für einen kurzen Augenblick von den Bewegungen des Geldes, den Wanderungen des Geldes, dem Ursprung des Geldes faszinieren.
    Dann zog er den verknitterten Anzug aus und lief als erster vor einer Reihe von Kindern ans Wasser und tauchte den großen Zeh hinein, dessen Eiseskälte ihn an die finnischen Binnenseen seiner Kindheit erinnerte.
    Am Strand saß Onkel Pertti, trank Koskenkorva aus der Flasche und lachte heiser über seine Feigheit.
    Er lief hinein. Die Kinder heulten wie die Sirenen.
    Im Rucksack oben unter dem blau-weißen Sonnenschirm lag das noch immer abgeschaltete Mobiltelefon.

3
    Das Mädchen mit dem Glück im Unglück saß auf dem Krankenhausbett und sah verwundert aus. Vermutlich hatte sie seit dem vorausgegangenen Abend nicht aufgehört, verwundert auszusehen. Es war eine anhaltende Verwunderung.
    Paul Hjelm fand ihre Verwunderung ganz und gar verständlich. Wenn man zehn Jahre alt ist und an der Hand seines Papas durch den Frühlingsabend spaziert, erwartet man kaum, angeschossen zu werden.
    Doch genau das war passiert.
    Sie hatte ein wenig gefroren, es war plötzlich Wind aufgekommen, der durch ihre dünne Daunenjacke drang und ihre bloßen Beine mit Gänsehaut bedeckte. Eine Hand hatte sie in Papas Hand geschoben, in der anderen hielt sie einen Ballon in Form eines lachenden gelben Clowns. Sie war ein bißchen gehüpft, hauptsächlich, um sich warm zu halten, aber auch, weil sie froh war über die Wundertüte, die sie aus dem Fischteich geangelt hatte und die jetzt in dem Plastikbeutel lag, den Papa trug. Sie fror ein bißchen, aber sonst war alles prima.
    Da wurde sie von einer Kugel getroffen.
    Von irgendwoher kam eine Kugel und schlug in ihren rechten Oberarm. Da blieb sie. Zum Glück.
    Sie hatte Glück im Unglück.
    »Das wird bald wieder gut, Lisa«, sagte Paul Hjelm und legte seine Hand auf ihre. »Es ist nur eine Fleischwunde.«
    Lisas Papa saß mit verweintem Gesicht und übernächtigt auf dem Besuchsstuhl und schnarchte. Paul Hjelm tippte ihm vorsichtig an die Schulter. Er fuhr mit einem schniefenden Laut hoch und starrte verständnislos auf den Polizeibeamten auf der Bettkante. Dann sah er seine Tochter mit dem bandagierten Arm, und das Schreckliche fiel ihm wieder ein.
    »Entschuldigen Sie, Herr Altbratt«, sagte Hjelm verbindlich. »Ich muß nur absolut sicher sein, daß Sie wirklich keine Spur eines Täters gesehen haben. Keine Bewegung zwischen den Bäumen? Nichts?«
    Herr Altbratt schüttelte den Kopf und starrte auf seine Hände. »Es war kein einziger Mensch in der Nähe«, sagte er leise. »Es war kein Laut zu hören. Plötzlich schrie Lisa auf, und ihr Arm blutete. Erst als der Arzt es mir sagte, begriff ich, daß eine Kugel sie getroffen hatte. Eine Schußwunde! In was für einer Welt leben wir bloß?«
    »Sie gingen also auf Sinshovsvägen in Richtung Djur gårdsvägen? Wo waren Sie genau?«
    »Spielt das denn eine Rolle?«
    Paul Hjelms Handy klingelte. Das war jetzt nicht so ganz passend. Er hoffte, daß keine Respiratoren oder Herz-Lungen-Maschinen den Geist aufgaben, wenn er antwortete. Er sah die Schlagzeilen vor sich: ›Das Handymassaker! Exklusiver Sonderbericht! Bekannter Kriminalbeamter ermordet vier Schwerkranke mit Handy.‹
    »Hjelm«, meldete
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