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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz
Autoren: Arne Dahl
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Baader-Meinhof oder die ETA oder die IRA. Alle werden zu Feinden. Alle werden es verdienen, getötet zu werden, nur Sie selbst nicht.«
    Arto Söderstedt hielt inne und legte die Hand auf Magdas. Er versuchte, seine Worte wirklich gut zu wählen. Möglicherweise hingen Leben davon ab.
    »Hören Sie hier auf«, sagte er. »Es ist nicht mehr nötig. Sie haben di Spinelli bekommen. Alle, die in den Tod Ihres Großvaters verwickelt waren, sind erledigt. Sie haben mir das Leben gerettet, und ich bitte Sie: Hören Sie hier auf. Es führt uns in eine andere Art von Gesellschaft. Sowohl die Gesellschaft als auch ihre Gegner werden immer undemokratischer. Das ist das einzige, was geschehen wird. Das einzige, was Sie wirklich ermorden, ist die Demokratie. Sie ist zerbrechlich. Und sie ist wichtig. Trotz allem. Hören Sie hier auf.«
    Arto Söderstedt kam sich vor wie Athene in der Orestie von Aischylos:
     
    Ganz unermüdlich rede ich dir zu, daß du nie sagst, es sei der alte Gott vom neuen und den Bürgern meiner Stadt ungastlich, ehrlos aus dem Land gejagt.
     
    Schließlich antwortet die Führerin der Erinnyen: ›Ich glaube, du besänftigst mich, es weicht mein Zorn.‹
    Und die Erinnyen werden Eumeniden.
    Aber das war Dichtung.
    Dies hier war etwas anderes.
    »Ich glaube nicht, daß das noch möglich ist«, sagte Magda mit der Andeutung eines Lächelns. »Selbst wenn ich es wollte.«
    Er nickte. »Ich habe es auf jeden Fall versucht«, sagte er.
    Sie saßen noch eine Weile da. Die Mauer zwischen ihnen hatte sich wieder erhoben.
    »Ich hole das Tagebuch«, sagte er und ging.
    Magda blieb noch einen Moment auf der Veranda stehen. Sie ließ den Blick über die paradiesische Landschaft schweifen, und niemand, niemand in der ganzen Welt konnte wissen, was sie dachte.
    Er kam zurück und überreichte ihr die Tagebuchblätter. Sie trennten sich wortlos. Er sah ihr nach, als sie den schmalen, steilen, kurvigen Weg nach Greve hinabwanderte.
    Das Chianti zeigte sich von seiner besten Seite. Die Sonne spielte auf ihrem Rücken und ließ ihre schwarze Kleidung fast selbstleuchtend erscheinen. Sie verschwand wie ein Stück leuchtender Schwärze hinter der Hügelkuppe.
    Er fand, daß ihr Schatten unbegreiflich lange sichtbar blieb.
    Vermutlich würde er nie verschwinden.
    Da stand er im Duft von neunzehn Sorten Basilikum. Ein warmer Wind streichelte ihm leicht die Wange. Die Weinbauern schritten langsam in ihren Furchen an den sonnenüberfluteten Hängen auf und ab. Die Kinder liefen in immer wilderem Tanz umher, Schwarz war nicht länger von Weiß zu unterscheiden, Weiß nicht länger von Schwarz, und der Klang ihrer Stimmen stieg in einem Jubelchor zu den kleinen, selbstleuchtenden Wolkentupfern am klarblauen Himmel auf.
    Alles war wunderbar. Und alles war falsch.
    Und er war nicht allein. Er war ein Kontinent.
    Anja tauchte wie ein deplazierter Kürbis aus ihrem Basilikumbeet auf. Sie kam herauf und stellte sich neben ihn auf die Veranda und nahm einen kleinen Schluck von seinem Trinkhalm-Vin Santo. »Ist es nicht wunderbar?« sagte sie.
    »Ja«, sagte er und streichelte ihren Bauch.
    So verharrten sie einen Augenblick.
    Schließlich sagte er: »Und wie geht es dem kleinen Racker?«
    Anja lachte schallend und versetzte ihm einen Klatsch mit den Gartenhandschuhen. »Was ist bloß los mit dir?« stieß sie hervor. »Ich bin nicht schwanger.«
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